Welch eine bittere Ironie: Mit seinem Buch-Titel „Die Freiheit nehm ich Dir“ dreht Patrick Spät einen älteren Slogan der Visa-Card rum. Die Karte versprach ihrem Nutzer, er könne sich mit dem Stück Kunststoff „seine“ Freiheit nehmen und war doch für viele nur die Perspektive auf eine Konto-Überziehung, ein Verspechen auf Konsum-Freiheit, die Patrick Spät nur als Gefängnis für die Mehrheit der Teilnehmer am Warenverkehr begreift. Auch deshalb ergänzt er in der Unterzeile: 11 Kehrseiten des Kapitalismus. Die Vorderseite des Systems beschreibt er als durchaus funktionierend: „Für die Banken und die Reichen“. Und er verspricht hoffend: „Der Kapitalismus ist von Menschen gemacht und deshalb kann er auch von Menschen überwunden werden.“

Von einem fortwährenden Raub schreibt der Autor, wenn er an die Aneignung von Wasser- und Land-Rechten erinnert, jenes frühere Gemeineigentum, dass sich dann der Adel angeeignete hatte. Ein Raub der andauert. Konzerne wie Nestle stehlen heute das Wasserrecht der Armen, um ihr Flaschenwasser mit großem Marketingaufwand unter die Leute zu bringen.

Und beim Landgrabbing, dem Raub von landwirtschaftlichen Anbauflächen, vornehmlich in Afrika, sind es ganze Staaten, die den Beutezug organisierrn: Katar hat sich mal eben 40.000 Hektar in Kenia angeeignet, China erwarb in der Demokratischen Republik Kongo 2,8 Millionen Hektar Land. Die fetten Schwarzerdeböden der Ukraine werden, über die Londoner Börse, mit Hilfe von transnationalem Kapital in den Schlussverkauf gebracht. Viel feiner, berichtet Patrick Spät, verläuft die Enteignung über die Banken: Erst geben sie Kredite zum Erwerb von Eigentumswohnungen, dann, sobald die Käufer in Verzug geraten, geht die Wohnung an die Bank. Allein in Spanien wurden eine halbe Million Zwangsräumungen vollstreckt. Selbst in Berlin werden jeden Tag 22 Wohnungen zwangsgeräumt.

Da hatte man einst gedacht, städtisches oder staatliches Eigentum sei irgendwie im Besitz der Bürger. Doch spätestens seit die Schröder-SPD die Parole ausgab, dass die Privaten alles besser können als der Staat, wurden Krankenhäuser privatisiert, Wasserbetriebe verschleudert und größere Einheiten wie die Post unter die Aktionäre gebracht. Am Beispiel der Telekom, dem Telefonzweig der einstigen gelben Post, kann jeder selbst kontrollieren, dass weder die Vielzahl der Tarife und noch die Unzahl der Gesellschaften dem Verbraucher irgendeinen Vorteil verschafft hat. Zwischen 1982 und 2005, schreibt Spät, sank die Zahl der staatlichen Betriebe von 985 auf 109. Um bei der privatisierten Post zu bleiben: Dort ging die Zahl der der Filialen von 29.000 auf 13.000 zurück. Gleichzeitig verloren seit 1990 über 16.000 Menschen ihre Arbeit bei der Post. So geht Privat vor Staat. Die Arbeitslosen werden dann gern wieder vom Staat übernommen, als Hartz IV-Empfänger.

Grenzenlos frei macht auch die Arbeitsproduktivität: Was im Ergebnis von vielen Arbeiter- und Ingenieur-Generationen als technischer Fortschritt die Arbeit fraglos erleichterte, wird, obwohl natürlich kollektiv erarbeitet, privat angeeignet und gegen die eigentlichen Produzenten eingesetzt: Das Statistische Bundesamt erzählt uns, dass die Produktivität je Arbeitsstunde allein zwischen 1991 und 2001 um 34,8 Prozent gestiegen ist. Im Wesentlichen wurde diese Produktivität in neue Maschinen, die weitere Kollegen überflüssig machen, investiert. Wenn sie nicht gleich, ganz typisch in der deutschen Automobilindustrie, für die Produktionsverlagerungen in Billig-Lohnländern investiert wurde. Aber natürlich kann auch in Deutschland der Billiglöhner bequem hergestellt werden: Ein Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland arbeitet inzwischen im Niedriglohn-Sektor, die Zahl der Leiharbeiter wächst jedes Jahr. Die sozialen Kosten trägt „der Staat“ jenes von Steuergeldern alimentierte Wesen, aus dessen Kasse Arbeitslosenhilfe, Zuschüsse bei Krankheit und Umschulungen aller Art bezahlt werden.

Am Beispiel des Irak erklärt Spät, wie nützlich Kriege für den Kapitalismus über den Waffen-Export und den Rohstoff-Raub hinaus sind: Jede Menge irakischer Betriebe wurden nach dem offiziellen Kriegsende privatisiert, eine halbe Million Staatsangestellte wurde entlassen, die Besteuerung von Kapitalgesellschaften sank von 45 auf 15 Prozent, und als äußeres Kennzeichen für den Machtwechsel wurde in Bagdad flugs die erste McDonald´s Filiale eröffnet. Da hat der GI doch nicht umsonst gekämpft. Wenn der Autor dann noch erwähnt, dass der weltweit größte Konsument von Erdöl das Pentagon ist, dass die US-Streitkräfte täglich 50 Millionen Liter Erdöl verbrauchen, wird die Logik des imperialistischen Krieges überdeutlich: Man führt Kriege, um sich Erdöl anzueignen, und die Kriegsmaschine verbraucht dabei so viel Erdöl, dass der nächste Rohstoff-Krieg um so dringender wird.

Die Perversität des Kapitalismus verlangt gebieterisch nach seinem Ende. Das wird nicht von allein kommen: Uns vom Elend der Profit- und Kriegsmaschine zu erlösen, „können nur wir selber tun“. So jedenfalls steht es in einem alten Lied. Und wenn, wie Patrick Spät aufschreibt, „inzwischen jeder dritte Deutsche glaubt, dass der Kapitalismus zwangsläufig zu Hunger und Armut führt“, dann wäre es dringend an der Zeit, die Verhältnisse zu ändern. Man muss schon von der Freiheit Gebrauch machen, wenn man sie erreichen will.

Patrick Spät liest aus seinem Buch
"Die Freiheit nehm ich dir"
Am 08-11-2016, 20:30 Uhr

Im Berliner Buchhändlerkeller

Carmerstaße 1 
10623 Berlin - Charlottenburg 
Moderation: Michael Schneider