Das ist doch alles ganz lange her: Als in Europa noch gefoltert wurde. Als sich Menschen illegal gegen ihre Regime organisierten. Als solche wie Jorge Semprun ihr Leben riskierten, um ein anderes, besseres Leben für alle zu erreichen. Bis zu seinem Tod vor zwei Jahren war das der Stoff, aus dem Semprun sorgsam Bücher schnitt wie man Filme schneidet. Seine letzte Arbeit - "Überlebensübungen" - liegt nun vor. Und die Frage, wie lange das denn alles her ist, stellt sich - angesichts der Foltergefängnisse, die von der CIA betrieben auch in Litauen, Polen und Rumänien existierten - anders als man denken mag. Der Guantanamo-Komplex hat sich wie eine gefährliche Seuche ausgebreitet, und seine Abwehr ist nur schwach, verdeckt von einem Menschenrechtsgesäusel, das immer die anderen betrifft, nie aber uns.
"Der trockene, stechende, aber kaum anhaltende, flüchtigere Schmerz des Holzschlagsstocks ließ sich nicht mit dem dumpfen, beim Aufprall erträglicheren, aber sehr viel tieferen und dauerhafteren Schmerz des Gummiknüppels vergleichen" erinnert Semprun aus der Gestapo-Villa in Auxerre, in die man ihn verbracht hatte bevor er nach Buchenwald transportiert wurde. Und er erinnert auch, dass die Gestapo schon jene Wasserfolter nutzte, die uns heute als "Waterboarding" bekannt ist. Vom Schweigen während der Folter hing Leben ab. Auch als Semprun, dem KZ-Buchenwald entronnen, zehn lange Jahre illegal im faschistischen Spanien für die Änderung der Verhältnisse wirkte, war das Schweigen der anderen seine Überlebensgarantie: Sie haben ihn nie erwischt, den Mann, der sich Frederico Sanchez nannte und jener Jorge Semprun war, der bis zuletzt seine Erfahrungen in Literatur umsetzte, in Texte, deren Bilder als Mahnschriften an der Wand begriffen werden sollten und wurden.
Alles ganz lange her? Bis 1974 herrschte der "Estado Nuevo" in Portugal, jene Diktatur als deren Begründer Antonio Salazar gilt und dessen Folterpolizisten sich auch nach der Diktatur unbehelligt in der Gesellschaft bewegen konnten. Der Caudillo Francisco Franco, der "Führer" Spaniens, herrschte bis in das Jahr 1975, und sein Erbe ist bis heute nicht aufgearbeitet, seine Folterer, wenn sie noch leben, wurden nie vor ein Gericht gestellt. Natürlich waren die Gefolterten im öffentlichen Bild immer Volksfremde, Verräter, im Zweifelsfall gern Kommunisten. Dank des europäischen Kriegexportes - ob als Willige im Irak oder als Menschenrechtler in Libyen - sind die Gefolterten dieser Tage zumeist Fremde: Dunkle Hautfarben, dunkle Haare und vorgeblich dunkle Beweggründe grenzen sie aus. Was sie wollen, will keiner so recht wissen. Sicher ist: Sie gehören nicht zu uns, das stellt sie außerhalb des Rechts.
Jorge Sempruns letztes Buch konnte nicht vollendet werden, er hatte an Fortsetzungen gedacht, an ein "unendliches Buch". Stoff genug hätte er finden können.