Eine kürzlich veröffentlichte Studie des nationalen Zentrums für Sozialforschung in Griechenland kommt zu dem Schluss, dass sich die griechische Bevölkerung bei gleichbleibender Geburtenrate in den nächsten fünfzig Jahren um die Hälfte reduzieren wird. Während 2008 noch rund 140.000 griechische Kinder zur Welt kamen, gab es im Jahr 2018 nur noch etwa 80.000 frische Hellenen. Damit lag die Geburtenziffer Griechenlands mit 8,2 Neugeborenen je 1000 Einwohner deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 9,9. Ein dramatischer weil irreversibler Kurs. Die Griechen sterben aus. Fragt sich der durch die Bild-Zeitung in Sachen griechischer Lebenskunst wohl informierte Deutsche: Warum nur ist denn den Griechen die Lust auf den bevölkerungsproduktiven Beischlaf vergangen?

Wer hingegen das Handelsblatt ließt, weiß die Antwort: Der schlaue Grieche wandert einfach aus. Und wer das nicht schafft, kann eben keine Kinder haben. Schuld an dem Trend ist die Krise. Sie radierte bis heute ein Viertel des griechischen Bruttoinlandsprodukts aus, reduzierte die Durchschnittseinkommen um ein Drittel und dezimierte die Vermögen des Durchschnittsgriechen um 40 Prozent. Dazu kommen galoppierende Arbeitslosigkeit und frei fallende Gehälter. Aus diesen Gründen machten sich vor allem Akademiker und gut ausgebildete Fachkräfte auf den Weg in eine bessere Zukunft in den nördlichen EU-Staaten. Mehr als 360.000 Menschen haben Griechenland seit 2010 verlassen. Zwischen 2009 und 2017 kamen so mindestens 100.000 Griechen allein nach Deutschland. Viele daheimgebliebenen Paare verzichten aufgrund finanzieller Perspektivlosigkeit praktischerweise ganz auf Nachwuchs.

Nur nicht jammern, so eine kinderlose Ehe hat durchaus ihre Vorteile. Die Leute bleiben zumindest gefühlt länger jung und können nachwuchstechnisch ungebunden auch länger arbeiten. Und das müssen die daheimgebliebenen Griechen auch, denn mit dem Bevölkerungsrückgang wird zufolge der oben angesprochenen Prognose die Zahl der Erwerbstätigen von heute 4,7 Millionen bis 2070 auf rund 3 Millionen zurückgehen. Zur fallenden Geburtenzahl kommt dann noch die in Griechenland trotz kollabiertem Gesundheitssystem und unbezahlbarer Arzneimittel über dem EU-Durchschnitt liegende steigende Lebenserwartung hinzu. So werden die über 65-Jährigen im Jahre 2050 ein Drittel der griechischen Bevölkerung ausmachen. Das bedeutet unter anderem, dass der griechische Staat eben mal das Rentenalter von heute 67 auf 73 Jahre erhöhen müsste, um den Laden auch nur einigermaßen zusammenhalten zu können.

Angesichts dieser Tendenz ist Gerd Höhler, Autor jenes Handelsblatt-Artikels über das Altersheim Griechenland vom 05.01.2019, dem diese Zahlen entnommen sind, verständlicherweise in höchster Sorge. Höhlers Sorge gilt allerdings nicht dem Überleben der ältesten Kulturnation Europas – Griechisch gehört schließlich zu den ältesten in bisher ununterbrochener Kontinuität gesprochene Sprachen der Welt – sondern der Frage, wer denn nun die ganzen Schulden zahlen soll. Und diese Sorge teilt er mit dem IWF. Denn laut IWF wurde in Ignoranz des Risikos der griechischen Bevölkerungsschwunds falsche Schuldentilgungsprognosen abgegeben. Athen muss bis 2060 272,2 Milliarden Euro an die öffentlichen Gläubiger zurückzahlen. Nachdem diese Gläubiger im vergangenen Sommer die Fälligkeiten der Hilfskredite streckten und Athen zusätzliche tilgungsfreie Jahre gewährten, gilt zwar beim IWF die Schuldentragfähigkeit Griechenlands bis 2038 als gesichert und ein stetiger Rückgang der Schuldenquote wird erwartet. Nicht gesichert sind hingegen die Jahre nach 2038, weil dann die Tilgungen wieder stark ansteigen: 2041 sind rund vier Milliarden fällig, 2047 bereits 7,8 und im Jahr 2054 sind schließlich über elf Milliarden zu überweisen. Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass ein Land, bei dem die Zahl der erwerbsfähigen Einwohner rückläufig ist, keine Chance hat seine Schulden zurückzuzahlen oder gar neue Kredite aufnehmen zu können. Zu erwarten ist hingegen, dass Griechenland im Jahr 2060 wieder die gleiche Schuldenquote hat wie heute. Während es aus Sicht des IWF und der EU-Kommission sicherlich begrüßenswert ist, dass die für sie so lukrative Schuldensklaverei des griechischen Staates bis über die Mitte des Jahrhunderts gesichert bleibt, hat die Gläubiger-Bande ein Problem: Tote Griechen zahlen nicht! Das kann schon Sorgen bereiten.

Verzweifeln müssen die Kredit-Geber allerdings nicht. Wie auch schon bei der entgegenkommenden Hilfe in Sachen Schuldeneintreibung hat die zweite SYRIZA-Regierung – die ohne Varoufakis – auch hier ein blendendes Konzept mit dem Namen „Neue Griechen“ in der Tasche. Für die SYRIZA stellen die nach wie vor nach Griechenland strömenden Migranten aus dem Nahen Osten, den nicht der EU angehörenden osteuropäischen Ländern und den Ländern aus Nord- und Schwarzafrika eine Quelle der nationalen Verjüngung dar. Zwar kommen die Migranten dank des Merkel-Erdogan Paktes nicht mehr in ganz so großen Zahlen direkt aus der Türkei. Aber mittlerweile kommen die an der hermetisch abgeriegelten kroatischen Grenze illegal abgeschobenen Flüchtlinge über Albanien oder FYROM (The former Yugoslav Republic of Macedonia) ins Land. Angesichts dieser Lage machen die ehemaligen Institutionenstürmer von der SYRIZA aus der Not eine Tugend und setzen auf einmal ganz auf die Kraft der institutionellen Integration. Den Werten der traditionellen Linken mitunter diametral entgegenstehende religiöse, kulturelle, politische oder sexuelle Einstellungen? Es gibt nichts, was das allen offen stehende griechische Bildungswesen nicht in Sachen Verfassungspatriotismus hinbiegen können soll. Neue Steuerzahler bis 2038? Kein Problem! Zumindest nicht, wenn man den propagandistischen Werbekampagnen der Regierung in den öffentlichen Medien glauben schenkt. Wer hingegen einmal in letzter Zeit eine durchschnittliche staatliche Schule in Griechenland von innen gesehen hat, weiß, dass die prekäre finanzielle Situation des Staates es nicht einmal erlaubt den weniger werdenden Eingeborenen die eigene Sprache richtig beizubringen.

Die durch Mangel an intellektuellem oder finanziellem Kapital zum Bleiben gezwungene griechische Normalbevölkerung, die prinzipiell unter den gleichen Machthabern leidet wie jene täglich im Land ankommenden Menschen aus anderen von IWF und EU geknechteten oder von der NATO ausgebombten Ländern, sehen sich also einerseits dem fremd verschuldeten Auslöschen der eigenen Ethnie ausgeliefert und wähnen sich andererseits von den unter den gegeben Bedingungen gänzlich weltfremden, globalistischen Integrationskampagnen des eigenen Staates verraten. Und auch wenn die ethnischen Griechen in 50 Jahren eine Minderheit im eigenen Land stellen werden, wird sich so schnell eines nicht ändern: Nur die ethnischen Griechen bleiben wahlberechtigt. Leider gibt es weder eine internationale noch eine nationale linke Partei, die sich ernsthaft des Problems annimmt. Wenn die Linke die Sorgen der Menschen bezüglich der Zukunft ihrer eigenen ethnischen Identiät nicht ernst nimmt und gleichzeitig keine praktikablen Lösungen des Flüchtlingsproblems anbieten will, ist es keine Überraschung, wenn sich diese Menschen dann jenen zuwenden, die auf diese Themen dank der Ignoranz des politische Mainstreams eine mehr als nur fragwürdige Deutungshohheit errichten konnten. Es ist daher leider sehr wahrscheinlich, dass Griechenland auf kurz oder lang mithilfe der rechtsradikalen, paramilitärischen Partei der Chrysi Avgi die „Geburt einer Nation“ erleben wird, welche den gewalttätigen Rassismus im gleichnamigen US-amerikanischen Stummfilmklassiker weit in den Schatten stellen wird.

Der Autor lebt und arbeitet in Athen.