Das ist eine neue, kräftige Stimme im Chor deutscher Literatur: Katrin Gerlof hat ihren Roman »Teuermanns Schweigen« vorgelegt. Er beginnt in einem jener Dörfer der vergangenen DDR, die das Vergehen eigentümlich dokumentieren, sterben wollen sie nicht und das Leben weicht täglich ein wenig mehr. In einem solchen Dorf, einem »geborgten« Haus, lässt die Gerlof ihre Protagonistin, die Markov, eine deren Vornamen wir nie erfahren werden, ihre Diplomarbeit schreiben und Gedanken formen: »Jeder gerettete Vogel ein Beweis der Unsterblichkeit«, denkt die Markov über einen, der kranke und verletzte Greifvögel sammelt und setzt so ein Karussell von Gedanken in Bewegung: Was ist Tierliebe wirklich, was beweist sich einer, der kranke Tiere pflegt, können Vögel Denkmale sein?

Die Markov sammelt Geschichten auf und einmal einen lädierten Mann, der ihr beim Pilzesammeln hilft sich zu verirren. Der Mann steht ihr nicht, schließlich wollte sie allein sein, um ihrer Arbeit über die Semantik von Führungsgrundsätzen zu schreiben. Wer seine zentrale Figur über einen solch verqueren Unsinn arbeiten lässt, über den Schwulst, der nur die vulgäre Profitmacherei verbergen soll, der ist entweder verblasen oder hat jenen schrägen Blick auf das Leben, der die Wahrnehmung schärft. Die Gerlof hat den Blick. Es ist die weite Sicht, die dem Privaten das Gesellschaftliche zuordnet, die, ohne dass die Geschichte abschweift oder aufgesetzt wirkt, Reflektionen über die »neuen Verbündeten der zivilisierten Welt« zulässt, zum Beispiel über afghanische Soldaten, denen man unschwer Massaker und Vergewaltigungen zutrauen darf.

Der zufällig im Wald gefundene Mann, zugeflogen wie ein kranker Vogel, gibt dem Buch den Titel. Doch Teuermanns Schweigen ist eher ein langes Beschweigen seiner jüngsten Vergangenheit, einer Schuld, die nicht mehr abzutragen ist. Das Schweigen übertönt Teuermann mit immer neuen Geschichten, die er der Markov erzählt. Er redet sich geradezu in ihre Obhut. Manchmal gerät der Roman zur Anekdotensammlung, noch eine und noch eine der düsteren Geschichten des nicht schweigen könnenden Teuermann lassen die Handlung eher treiben, als dass sie antreiben. Gerlof, die durchaus kraftvoll erzählen kann, traut dem eigenen Material nicht immer. Auch wenn denn ein Auto, dessen Sorte ja Charakteristikum für eine Roman-Figur sein könnte, nicht als ein Möchtegern-Sportwagen für ältere Herren mit mittlerem Einkommen beschrieben wird, sondern Audi TT genannt wird, oder wenn Namen wie Armani und Peek & Cloppenburg auftauchen, spürt man die Selbstvergewisserung der Gerlof: Bin ich authentisch, was darf ich mir zutrauen? Alles.

Sie schildert auf dem Weg zu einem Lebenszwischenstopp Leute, die Markov, die sind so fremd und so alltäglich zugleich: Die Buchhalterin, deren Arbeitsalltag sie wünschen lässt, mit dem Maschinengewehr durch die Büros zu feuern, den Mann, der mit Hammer und Meißel ein riesiges Labyrinth in die Wand seines Hotelzimmer gefurcht hat. Auch sie selbst versteht die Leute nicht, für die sie arbeitet, und die verstehen sie ohnehin nicht. Es ist die Welt, in der Gespräche Kommunikation geheißen werden, in der die blanke Existenz schon wie ein Leben gilt, in der Menschen einfach aus den Rastern in ein gesellschaftliches Loch fallen, das ist so tief, man kann kein Echo hören.

Die Markov wird ihren Job aufgeben, Teuermann wird kommen und gehen und vielleicht wiederkommen. Das Dorf, das ihr in seinem Sterben noch besser scheint als die tote Stadt, wird wieder ihr Zuhause sein und die Geschichte wird im Hoffen enden. Immerhin. Auf dem Buchumschlag ist das Portraitfoto der Autorin: Ein kräftiges Kinn, breite Flächen, skeptische Augen, ein Gesicht, das viel weiß.

Fotos können lügen. Texte machen mir nichts vor: Die Gerlof hat Zukunft. Aber sie wird sie ziemlich düster verarbeiten.