Es reicht ihm, dem reichen Erfolgsfotografen Finn (Campino): Immer die vielen Weiber am Hals, immer die endlosen Parties, alle machen was er will und Düsseldorf ist, wenn er so aus dem Superfenster seines Superlofts schaut, auch nicht mehr das, was es mal war. Finn, so sagt das Drehbuch von Wim Wenders zu "Palermo Shooting", braucht Tapetenwechsel. Während der gewöhnliche Mensch jetzt an den Rechner geht oder sich von seinem Kumpel einen guten Reise-Tip geben lässt, braucht Finn a) einen beinahe tödlichen Verkehrsunfall und b) den Auftritt des Lou Reed von Velvet Underground in einer digitalen Geisterbahnversion, der den Fotografen fragt: "What do you fear most? Death?".
Natürlich könnte die Antwort auch lauten: Ein Kilo Gummibärchen oder den Geruch von heißen Bügeleisen, aber Finn braucht noch ein wenig Nachdenkzeit, um die Wahrheit herauszufinden. Die wird ihm eines schnöden Morgens, als er auf seinem Schlafbaum erwacht, von Udo Samel aufgedrängt. Samel, als reicher Erfolgsbänker kostümiert, der nebenbei Schafe hütet, redet ganz zwanglos vom Tod. Nicht vom Tod der Börsenkurse oder der Investmentbanken, sondern von dem, der das Leben beendet. Kaltflüssig treibt derweil der Rhein ein Schiff vorbei, das den Namen Palermo trägt und schon fällt es Finn wie Schuppen aus den Haaren: War er da nicht ohnehin mit der schwangeren Milla Jovovich (gespielt von Milla Jovovich) verabredet? Denn Jennifer Lopez war schon mit dickem Bauch in der Yello Press gewesen, Cate Blanchet und Jessica Alba hatten ihre Geburtsrundungen schon in die Kamera gehalten, nur Millas pregnante Gute-Hoffnungs-Kugel hatte noch keiner ins rechte Licht gerückt. Ab nach Palermo!
Pittoresk sagt der Gebildete, wenn er malerisch meint und so sieht es in Palermo aus: Bunt, historisch und durcheinander. So fühlt sich auch Finn in seinem Superappartement mit dem Superblick auf die palermische Altstadt. Und damit wir alle wissen, das Finn wirklich sehr ernsthaft durcheinander ist (Campino darf nicht singen und darstellen kann er nicht), gibt Wenders die digitalen Pan-Tau-Effekte frei: Der arme Finn liegt in einem virtuellen Monsterbett, zum Beispiel, oder fliegt ein wenig durch den Raum. Weil das alles viel Geld kostet, ist der Film voll von penetrantem Product-Placement zur Refinanzierung. Eine Bierfirma, eine Handyfirma und diese oder jene Fotoapparatefirma können ihre Produkte so dick in die Kamera halten, dass die dünne Story eine gewisse Aufbesserung erfährt.
Jetzt kommt das Schaf: Nach den vielen Schafen auf den Düsseldorfer Rheinweisen, gehütet von Udo Samel, trifft Finn ein einzelnes Schaf in der Altstadt von Palermo. Ein Schaf, inszeniert von Wim Wenders, das muss etwas zu bedeuten haben, was auch immer. Und dann der Pfeil: Der streckt den Finn glatt im Zentrum der Altstadt nieder. Kein Robin Hood in der Nähe, kein herumalberndes Kind, es wird doch nicht Amor gewesen sein? Eine Gestalt im Kapuzenmantel verschwindet, war es der kleine Hobitt? Später werden wir erfahren, dass es der große Dennis Hopper war, der kein Deutsch kann. Denn warum sollte er solch schlechten Dialogen seine Zustimmung gegeben haben, wenn er sie verstanden hätte. Mein Gott, ist das alles mystisch!
Sobald Finn der "schönen jungen Flavia" (Presseheft) begegnet, könnte die Mystik eigentlich aufhören. Denn ab jetzt weiß der Zuschauer wie es weiter geht: Finn wird sich 1. in Flavia (Giovanna Mezzogiorno) verlieben, das wird 2. diese oder jene Komplikation mit sich bringen, das liegt 3. am Tod, der sich als Dennis Hopper verkleidet hat und 4. steuert der Film unrettbar auf ein Happy-end zu, in dem die Liebe den Tod besiegt. Nach Ende des Films darf festgestellt werden: Zu 1: Ja. Zu 2: Finn fällt ins Hafenbecken. Zu 3: Falsch, es ist Dennis Hopper, der sich als Tod verkleidet hat. Zu 4: Gehen Sie rechtzeitig raus!
Der Film kommt im November in die Kinos. Vorher ist eine Arbeit auf den deutschen Leinwänden zu sehen, die nicht weit von Palermo spielt: "Gomorrah", ein Film über die Camorra. Dort wird völlig beiläufig gestorben. Dort ist der Tod keine Kopfgeburt, sondern Teil des globalen Systems. Und während bei Wenders der Schein das Sein bestimmt, gibt "Gomorrah" dem Bewusstsein eine Seinsgrundierung. Der Tod, das steht nach Sichtung von "Palermo Shooting" fest, ist zu ernst, um ihn Wim Wenders als Thema zu überlassen.