Die Erschütterung über eine unglaubliche Bluttat hat die Welt vor wenigen Tagen in eine regelrechte Empörungshysterie versetzt. Ein Mensch war nämlich durch Schüsse in den Rücken umgebracht worden. Nein, es war nicht der Mord an dem unbewaffneten Afroamerikaner Ste-phon Clarkson, den US-amerikanische Polizisten in Sacramento mit acht Schüssen in den Rücken zu Tode brachten, weil sie dessen Smartphone, das er in der Hand hielt, für eine auf sie gerichtete Waffen hielten. (http://www.spiegel.de/panorama/justiz/sacramento-stephon-clark- wurde-von-polizei-in-den-ruecken-geschossen-a-1200732.html). Es war auch keiner der anderen 264 in diesem Jahr bereits in den USA von Polizisten Erschossenen, der die helle Empörung westlicher Politiker und der ihnen angeschlossenen Medien entfachte. Zwar beklagen schwarze Aktivisten in den USA seit langem, dass weiße Polizisten bei afroamerikanischen Verdächtigen besonders schnell das Feuer eröffnen, (https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitge- schehen/2018-03/polizeigewalt-stephon-clark-usa-proteste), doch unsere Politiker und die führenden westlichen Medien interessiert das, wenn überhaupt, gerade einmal am Rande. Dagegen beherrschte drei Tage lang der inszenierte Tod des „bekanntesten Kriegsreporters Russ- lands und entschiedenen Kremlgegners Arkadij Babtschenko“ die Schlagzeilen. Selbst der Bundespräsident und der deutsche und der englische Außenminister sahen sich in diesem Falle in der Pflicht, aufs Allerschärfste zu protestieren. Wenn nämlich ein ausgewiesener Putin- feind und Kremlgegner erschossen wird, auch wenn er letztlich gar nicht erschossen wurde, ist das ein derart empörendes Ereignis, welches allerhöchste öffentliche Aufmerksamkeit verlangt.

So meldete Spiegel online bereits am 29. Mai um 21:36 Uhr die schreckliche Tat: Ukraine / Russischer Journalist in Kiew erschossen / Er zählte zu den bekanntesten Kriegsreportern Russlands / Der entschiedene Kremlgegner Arkadij Babtschenko ist in seiner Kiewer Woh- nung erschossen worden. Hintergründe sind noch unklar.
Um 23:09 Uhr twitterte Julian Röpcke, Verantwortlicher Redakteur, Ressort Politik bei BILD: Putins Regime mordet und mordet und mordet. Warum? Weil es weiß, dass es wie immer straffrei ausgeht und am Ende doch alles bekommt, was es will. Der FIFAWorldCup und NordStream 2 sind nur zwei Beispiele von unzähligen. Ruhe in Frieden, Arkadi Babtschenko Am 30. Mai, 10:44 Uhr, informierte Zeit online ausführlicher: Arkadi Babtschenko erschos- sen... Der ukrainische Ministerpräsident Wladimir Groisman macht Moskau verantwortlich für den Mord an dem kremlkritischen russischen Journalisten Arkadi Babtschenko in Kiew. „Ich bin überzeugt, dass die russische totalitäre Maschinerie ihm seine Ehrlichkeit und Prin- zipientreue nicht verziehen hat“.
12:53 Uhr wusste Spiegel online dann auch, dass nur Russland als Täter in Frage kommen kann: Mord an russischem Regierungskritiker Babtschenko / Schüsse in den Rücken... In der Ukraine gehen viele Beobachter von einem Auftragsmord aus und sehen Russland involviert. 13:55 Uhr twitterte der Journalisten-Verband DJV: Prominenter regierungskritischer Journa- list Arkadi Babtschenko in Kiew erschossen - spätestens jetzt sollen die EU-Staaten ernsthaft über einen Boykott der WM 2018 nachdenken.
Auch Focus online berichtet 13:55 Uhr ausführlich über den Journalistenmord in der Ukraine / Journalist und Putin-Kritiker Arkadi Babtschenko in Kiew erschossen. Seine Frau habe Schüsse gehört und ihren Mann blutend auf dem Boden liegend gefunden – mit Schussverlet- zungen im Rücken... In der ukrainischen Hauptstadt ist es der dritte aufsehenerregende Mord an einem Journalisten in vier Jahren. 2016 tötete eine Autobombe den russischen Journalis- ten Pawel Scheremet, ebenfalls einen Kritiker der Moskauer Führung. 2015 wurde der ukrai- nische Journalist Oleg Busina ermordet. Die Fälle sind ungeklärt.
14:39 Uhr wusste derstandard.at: Mord an Journalist Babtschenko löst neuen Streit zwi- schen Kiew und Moskau aus / Nach dem Tod des bekannten Kriegsreporters überhäufen Russland und die Ukraine einander mit Vorwürfen / Der Täter wartete im Hauseingang. Als Arkadi Babtschenko am Dienstag vom Einkauf zurückkehrte, schoss ihm ein Unbekannter in den Rücken. Seine Frau fand den 41-Jährigen blutüberströmt im Korridor, auf dem Weg ins Krankenhaus starb der Journalist an den Verletzungen.
Auch bei welt.de konnte man noch um 15:31 Uhr unter der Überschrift: In Kiew erschossen / Mord an einem kompromisslosen Kreml-Kritiker genaue Details der Tat lesen: Der Killer streckte ihn mit drei Kugeln in den Rücken nieder. Arkadi Babtschenko sackte im Treppenhaus vor der Tür seiner Kiewer Wohnung zusammen, Sekunden später fand ihn seine Frau. Der Journalist starb im Notarztwagen auf dem Weg ins Krankenhaus.
15:51 Uhr, tagesschau.de: Spekulationen nach Mord an Babtschenko / Nach dem Mord an dem russischen Journalisten Babtschenko fordert Bundespräsident Steinmeier Aufklärung. Der Kreml, den Babtschenko immer wieder kritisierte, bestreitet jede Verwicklung... Bundesaußenminister Heiko Maas sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, dass man die Tat nicht sprachlos hinnehmen wolle und werde. „Mit dem Tod von Arkadi Babtschenko verliert die Welt einen aufrechten Journalisten, der sich auch durch die Drohungen, die er erhielt, nicht davon abhalten ließ, kritisch und unabhängig zu berichten.“

Doch dann, plötzlich und unerwartet, ereignete sich ein außerordentlich überraschendes Wunder. So musste Spiegel online 16:32 Uhr vermelden: Vorgetäuschter Mord / Russischer Journalist Babtschenko ist am Leben / Er trat in einer Pressekonferenz in Kiew auf. Der ukrainische Geheimdienst behauptet, er habe einen russischen Mordplan vereitelt.

Um 21:01 Uhr war dann im gleichen Medium weiter zu lesen: Geheimdienstoperation mit russischem Journalisten / Wie Babtschenko seinen Tod in Kiew inszenierte... Babtschenko hatte sich unter anderem auf dem Bauch liegend, umgeben von roter Farbe – angeblich Blut
– fotografieren lassen. Und am nächsten Tag informierte Zeit.de: Russischer Journalist / Babtschenko verteidigt seinen vorgetäuschten Tod. Der russische Journalist Arkadi Babtschenko steht in der Kritik dafür, dass er einen Mordanschlag auf sich fingiert hat. Er selbst findet die Aktion gerechtfertigt... Wer ihm vorhalte, die Medien irregeführt zu haben, der solle „seine Prinzipientreue und hohe Moral beweisen und stolz erhobenen Hauptes sterben“. Auf Twitter entschuldigte er sich ironisch dafür, noch am Leben zu sein: „Bei der nächsten Attacke gehe ich bestimmt drauf.“
Am 31. Mai, um 15:22 Uhr war dann bei Spiegel online zu lesen: Komplott um Journalist Babtschenko / Der perfekte Mord, der keiner war... Präsident Petro Poroschenko dankte dem Journalisten bei dem Treffen am Mittwochabend..., dass er „gemeinsam mit den ukrainischen Sicherheitsdiensten“ ein Szenario verhindert habe, „das auf die Destabilisierung der Lage in der Ukraine abgezielt“ habe.
Und um 15:40 Uhr kommt dann Spiegel online zu folgender Erkenntnis: Presseschau zu Babtschenko „So schnell wurde eine Tragödie selten zur Farce“ / Die Babtschenko-Affäre schadet der Ukraine - zu diesem Schluss kommen viele Zeitungen am Tag nach der wundersamen „Auferstehung“ des russischen Journalisten.

Bei heise online war am gleichen Tag dann unter der Überschrift: Ukraine / Der Mord an einem russischen Journalisten, der keiner war, durchaus Erhellendes zu lesen: In einer grotes- ken, bis hinauf zum Präsidenten gefeierten Inszenierung wurde angeblich ein von russischen Geheimdiensten geplanter Terroranschlag verhindert... Gestern stand Babchenko dann wieder auf von den Toten und erklärte, die Mordinszenierung sei Teil einer Spezialoperation des Geheimdienstes SBU, um seinen wirklichen Mörder zu finden. Angeblich habe es nämlich ein Mordkomplott gegen ihn gegeben. Man muss nicht lange raten, wer dahinter steckt: die russischen Geheimdienste... Poroschenko griff, wie er es gerne macht, zu einer martialischen Sprache, die das Ganze noch mehr zur Posse macht: „Ich war heute stolz, dass ich der Präsident einer solchen Nation bin. Nicht nur die Redaktionen sorgten sich um Euch, nicht nur Medien und das Fernsehen. Ich sah, wie Menschen heute weinten und glücklich waren, als sie die Nachrichten während der Pressekonferenz hörten.“ Die Prüfung hätten nicht nur einzelne, sondern die „gesamte Nation“ bestanden.

Die nicht abgegebenen Schüsse auf den kremlkritischen Journalisten haben diesen natürlich weder getötet noch verletzt, allenfalls moralisch. Wer allerdings durch diese zahlreichen medialen Fehlschüsse nicht hellhörig geworden ist, weiterhin glaubt, dass unsere Mainstream- Medien uns über die Vorgänge in dieser Welt wahrhaftig unterrichten und die sich eilfertig ereifernden westlichen Politiker und andere sich für wichtig haltende Personen vertrauens- und glaubwürdig wären, hat den Schuss tatsächlich nicht gehört.