Als einen »dokumentarischen Horrorfilm« sieht der umstrittene Dokumentarfilmer Errol Morris sein jüngstes Opus »S.O.P. Standard Operating Procedure«, das nach der Berlinale-Premiere nun auch in die Kinos kommt. Wenn man weiß, dass es sich darin um die perversen Folterverhöre im US-Knast von Abu Ghraib dreht, ahnt man, was er damit meint, und der erste, wenn nicht sogar der größte Horror steckt bereits in seinem Filmtitel. Der nämlich bezeichnet, als was nach Meinung der Militärjustiz die meisten der Vorgänge in Abu Ghraib anzusehen sind: nicht als Straftat, sondern als »Standard-Verfahrensweise« anders gesagt als die Späne, die unvermeidlich beim Hobeln anfallen. Ausführlich und mit großem Effekt will Morris das in unsere Hirne hämmern und damit wohl auch »objektiv« erklären, wieso die an den Folterungen unmittelbar Beteiligten mit so lächerlichen Disziplinarstrafen davonkamen, gar nicht zu reden von den höheren und höchsten Kommandoebenen, denen nicht einmal ein Prozess gemacht wurde.
Morris Filme sind nie reine Dokumentarfilme, seine Methode ist ein Mix aus Realität und Fiktion, weil er Ereignisse, bei denen seine Kamera nicht zugegen war, ungeniert von Darstellern nachspielen lässt. Fragwürdig ist dieses Verfahren allemal, denn es beschädigt, wenn es die Trennung zwischen Wahrheit und Erfindung aufhebt, auch die Glaubwürdigkeit der »realen« Aufnahmen. Noch problematischer ist es in diesem Fall, da die Täter ihre Taten ja selber ausführlich »dokumentiert« haben, und zwar Ironie der weltweiten »Marktordnung« - auf drei Videokameras jenes Konzerns, der nun Morris Film vermarktet!
Die Bilder aus Abu Ghraib gingen seinerzeit um die Welt, ihre Verbreitung anno 2004 sehen viele als einen Wendepunkt, der das Ansehen der USA als Weltpolizist unwiderruflich zerstört hat. Was also soll ein Film wie »S.O.P.« heute noch? Morris sieht die Publikation der Bilder zugleich als den Versuch einer Vertuschung, die die Öffentlichkeit von weiterem Nachfragen abhalten sollte. Sein Film will diese Strategie durchkreuzen und Informationen nachliefern, die den Folterbildern ihren Kontext zurückgeben. Dazu lässt er die Videobilder von einem Experten wissenschaftlich fundiert und akribisch in eine Chronologie bringen und stellt sie Auszügen aus Briefen gegenüber, die eine der Täterinnen an ihren Verlobten sandte und die anders als ihre Interviewäußerungen wenigstens einen Anflug von Schuldgefühl erkennen lassen. Es sind dies die einzigen wirklichen Erkenntnisgewinne seines Films.
Außerdem hat Morris die »Täter« zu ausführlichen Interviews vor die Kamera geholt, wo sie dank einer von ihm erfundenen Technik namens Interrotron direkt zu ihm, also zu uns reden können und gegen Bezahlung, versteht sich! mehr oder minder wortgewandt ihre Sicht der Dinge von sich geben. Nicht von Morris, sondern von diesen unteren Chargen hört man dann wenigstens ein paar Bemerkungen über ihre Vorgesetzten und deren auffällige Schonung durch die Militär-Justiz, die dafür sorgte, dass von allen Beteiligten »oberhalb von Sergeanten-Dienstgraden kein einziger inhaftiert« wurde. Dass sich deren Untergebene als Bauernopfer sehen, ist verständlich, doch von »Befehlsnotstand« zu reden wie einst die Nazitäter kommt ihnen nicht in den Sinn wie sollte es auch, wo doch ihre eigenen Videobilder so sichtbar den »Spaß« zeigen, den sie bei ihrem Tun hatten.
Ist schon dies alles schwer verdauliche Kost, so treiben die für Morris Methode typischen Nachinszenierungen die Unerträglichkeit auf die Spitze. Da stecken Schauspieler im Einheitsorange des Knastpersonals einen »toten« Mitspieler in einen Plastiksack, um das »versehentlich« im Verhör gestorbene Opfer unauffällig zu beseitigen, da rückt die Kamera in extremer Großaufnahme geschundene Arm- und Fußgelenke ins Bild, und von den Lippen eines der »Gefolterten« tropft kinowirksam und leinwandfüllend das Blut. Gerade so, als ginge es um einen »Schöner foltern«-Wettbewerb, kann sich Morris Inszenierung nicht satt sehen am Grauen und an der Qual der Opfer. So geht in seiner voyeuristischen Orgie denn auch eine (nicht inszenierte!) Szene unter, die den Zuschauer mehr schocken könnte als jedes explizite Folterbild: jene nämlich, in der in einer Pause, sozusagen als Freizeitvergnügen die Täter mit einer Banane in schlüpfrig eindeutigen Posen jene primitive, verklemmte Erotik zelebrieren, die auch Soldaten anderer Länder aus Kasernenwitzen ausreichend vertraut sein dürfte. Natürlich verbietet seine Pseudo-Objektivität es Morris, darauf näher einzugehen er hätte sonst vielleicht eine Sozialisationskette gefunden, die das scheinbar so Unerklärliche der Abu Ghraib-Vorgänge auf durchaus subversive, »wehrkraftzersetzende« Weise erklären könnte.