Und dennoch Hoffnung, so lautet der Untertitel der Weiss-Biographie von Jens-Fietje Dwars und eine Hoffnung beschleicht den Leser: Dwars könnte mit seinem Buch über Peter Weiss eine Debatte anstoßen, er würde mit der Erinnerung an den Autor der "Ästhetik des Widerstands" an die Diskussion über die Maßgaben des Sozialismus aus den achtziger Jahren anknüpfen. Wert wäre es. Ob es möglich ist, ist nicht entschieden. Schon im klugen Vorwort lässt Dwars eine jener DDR-Diskussionsgruppen zur "Ästhetik des Widerstands" aus den achtziger Jahren auferstehen, eine Gruppe die auf die Veränderbarkeit des Sozialismus setzte, dessen Gorbatschowsche Gegenwart zum vorläufig letzten Mal Anlass zum Hoffen gab. Und Dwars, der unter einer Biographie deutlich mehr versteht als das Nacherzählen eines Lebens, gibt in seinem Vorwort einen Fingerzeig: "Wie es ist, kann es nicht bleiben. Wie es wird, entscheidet ein Heute, das aus dem Gestern kommt."

Peter Weiss, der Sohn eines Textilkaufmannes und einer Schauspielerin, begreift sich früh schon als ein Unbehauster, einer, dem die bürgerliche Normalität zuwider ist, der als Zwanzigjähriger in einem Brief an Hermann Hesse verkündet: "Ich weiß, dass ich Maler und Dichter bin oder einmal werde". Diese Gewissheit gründete sich auf Talent, von dem noch heute die wenigen frühen Bilder zeugen, die den Maler Peter Weiss als einen Bildner des Schreckens bekunden, der Ängste und der drohenden Vorahnungen. Besondere schriftstellerische Zeugnisse liegen aus dieser Zeit nicht vor. Eher ist es sein fremder Blick auf die Welt, die den künftigen Dramatiker ahnen lässt. Es mag die jüdische Herkunft sein, die dem Agnostiker Weiss von außen aufgedrängt wurde, die häufigen und erzwungenen Ortswechsel, von Potsdam nach Galizien, von dort nach Bremen, dann nach Berlin, nach England, nach Schweden, die dem jungen Weiss eine skeptische, immer analysierende Haltung mitgegeben haben, jene Fremdheit, die genauer hinschauen lässt. Dwars sieht sie eher in der bürgerlichen Anpassung "vielfältiger Anlagen im Inneren an die Zwecke der äußeren Ordnung". Und er liefert mit den Gewaltausbrüchen an Schulen und in Stadien heutige Beispiele mit, deren Bürgerschrecklichkeit er in eben dieser Gesellschaft verortet.

Neben vielen anderen Verdiensten des vorliegenden Buches überrascht es mit der Feststellung, dass der gerühmte Theatermacher und Schriftsteller Peter Weiss, erst Anfang der sechziger Jahre, als er schon über die Vierzig hinaus war, begann als Schriftsteller erfolgreich zu werden. Zuvor schlug sich der Vielbegabte, häufiger schlecht, seltener recht, als Maler, als Filmemacher und als Journalist durch. Auch sein politisches Engagement ist in den frühen Jahren kaum zu spüren: Als der Journalist Weiss im Auftrag einer schwedischen Zeitung 1947 die zerstörte und zerteilte Stadt Berlin besucht, einen Ort, an dem die schroffen politischen Gegensätze jener Zeit besonders merkbar waren, bleibt er der kühle, der unbeteiligte Beobachter: "Ich suche nichts. Nehme nur entgegen, vertiefe die Zeichen", schreibt er auf und vertieft in seinen unverlegten Erzählungen seine Befürchtung, dass die Grenze zwischen Opfern und Tätern fließend sei, dass er deshalb lieber zu den Schwachen gehören wolle, um als Mächtiger nicht in Versuchung zu geraten, die Macht zu missbrauchen. Rückwärts gelesen kann man den Vorgriff auf eine spätere Sozialismus-Kritik erkennen. Und auch das ungelöste Problem, warum denn die einstmals Ohnmächtigen allzu gerne von der Macht korrumpiert werden, wenn sie sie errungen haben.

Als Weiss 1965 bei der DDR-Obrigkeit für den bedrängten Liedermacher Biermann eintrat, begegnete er schlichter Ignoranz, die in einer immer noch nicht beantworteten Frage mündete: "Was hinderte diese Persönlichkeiten", die für ihre Überzeugungen Kerker und Tortur überstanden hatten, daran , "Reife und Überlegenheiten aufzubringen?". Und weil er auch in seinem Auschwitz-Stück "Die Ermittlung" implizit die Möglichkeit der Wandlung von Opfern in Täter aufwirft, wurde und wird er heftig angegriffen. Eli Wiesel nannte das Stück gar einen "Versuch, die Opfer ihres Gedenkens zu berauben." Wer sich erinnern mag und kann, der darf den Stolz jüdisch-deutscher Frontkämpfer und Ordensträger des Ersten Weltkrieges nicht nur als wehmütige Erhöhung für den tiefen Fall in den organisierten Massenmord begreifen. Der muss wissen, dass es ein System war, das vom Rassismus profitierte und das, bis zum Tag der Ausgrenzung und Ausmerzung, die besserverdienenden Juden Teil dieses Systems waren, nicht anders als die christlichen Profiteure. Der Zweifel war es, der das Werk von Weiss durchzog, der Zweifel als produktives Instrument zur Untersuchung von Wirklichkeit, der ihn sowohl zum großen Autor machte als auch zum großen Missvergnügen derjenigen, die sich im Besitz der Geschichte glaubten.

Spätestens mit dem Weisschen Protest gegen den Vietnamkrieg wird der "Unzugehörige" zum Zugehörigen, ergreift eindeutig Partei. An dieser Stelle verdanken wir dem Biographen eine Erhellung in der Causa Grass: Der hatte sich, als offizieller Repräsentant der Bundesrepublik, die den Vietnamkrieg als Angriff des kommunistischen Nordens auf den freien Süden verstand, gegen Weiss gewandt und ihm deshalb vorgeworfen, dass der "die Farce vom engagiert-humanistischen Schriftsteller bühnenwirksam" aufgeführt habe. Diese seltsame, von Gras nie korrigierte Perfidie, erklärt vielleicht die albernen Grasschen Schwankungen längs SPD-Parteilinie, die immer auch der Teilhabe an der Macht galten. Eine andere Niedertracht wird an dieser Stelle vom bisher ausgezeichneten Dwars eingeführt: Er wirft der beginnenden westdeutschen Studentenbewegung "Losung statt Lösung" vor, als hätten die wenigen Studenten eine Lösung des Vietnamkrieges präsentieren können, als wäre ihnen mehr möglich gewesen als sich zu empören. Das war um so vieles mehr, als die westdeutsche Gesellschaft zu tun bereit war, dass der Biograph die Grösse, den Mut der Studenten rückblicken offenkundig nicht einordnen kann. Dwars setzt nach, wenn er hämisch von Benno Ohnesorgs Tod schreibt, jetzt habe die Revolte ihre Märtyrer und den Mörder Ohnesorgs als "hilflosen Polizisten" beschreibt. Schließlich erteilt er retrospektive Ratschläge, wenn er von "Krawallprotesten gegen die Springerpresse" erzählt, die nichts anderes bewegt hätten, als "alle Ressentiments der Kleinbürger gegen links zu bestätigen:" Hier nutzt der in der DDR aufgewachsene Autor nicht nur die widerliche Diktion der Springerpresse, er trifft sich auch mit der westlichen »Generation Golf«, den neidischen Nachachtundsechzigern. Wie ihm, dem augenscheinlich respektvollen Biograph eines Autors der Ohnmächtigen, eine solche, von keinerlei Kenntnis berührte Diffamierung der ohnmächtigen studentischen Bewegung unterlaufen kann, bleibt ein Rätsel.

Das Hauptwerk des Peter Weiss, die "Ästhetik des Widerstands", erzählt nicht zuletzt über "eine wundervolle Theorie, die in grausamer Praxis verkommen" war. Es könnte so ein Unverständnis nähren, das im banalen Spruch vom Menschen, der nicht gut genug, nicht reif sei für den Sozialismus, mündet. Dwars Arbeit über Weiss und "Ein Buch, das über sich hinauswill, indem es zwingt, wieder und wieder gelesen zu werden", wendet sich genau gegen diese Banalität. Die Biographie ist ein blendend recherchierter und angenehm geschriebener Beitrag zur Wiederaufnahme des Widerstandes.

Einmal, als ich in Athen war, als es "Ost" und "West" noch als genuin politische Begriffe gab und das Ende des "Ostens" gerade sichtbar wurde, traf ich auf ein Theaterplakat. Das Motiv war einem Bild von Jacques-Louis David entlehnt und zeigte den französischen Revolutionär Marat, ermordet in seiner Badewanne. Mühsam entzifferte ich die fremden, griechischen Buchstaben: "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade. Ein Stück von Peter Weiss«. Und für einen Moment nur hatte ich die Kenntnis davon, dass wir, die Unbehausten, die Zweifler, überall nicht zu Hause sind.