Eine umfangreiche Biografie über Konrad Wolf. Die erste sogar, wie der Verlag behauptet. Na endlich, hieß es vielfach, als der voluminöse Band "Der Sonnensucher Konrad Wolf" erschien. Dass die gewiss nicht blühende Landschaft deutscher Filmliteratur zwar Bücher über zweitrangige Starlets, aber kein Buch über den bedeutendsten Filmregisseur der DDR zu Stande brachte, ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Aber warum so spät, 23 Jahre nach Wolfs Tod und 16 Jahre nach dem Ende der DDR?
Eine halbe Erklärung lieferten die Autoren bei der Buchvorstellung selbst: Vor dem Fall der Berliner Mauer, so Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen vom Filmmuseum in Berlin, habe man sich für Filme aus dem Osten kaum interessiert - was bis auf wenige Ausnahmen auch für andere (west-)deutsche Autoren und Verlage galt. Die zweite Hälfte der Erklärung: Am 20. Oktober 2005 wäre Konrad Wolf, der am 7. März 1982 starb, 80 Jahre alt geworden, was vielerorts mit Veranstaltungen gewürdigt wurde.
Herausgekommen ist ein dickleibiger Band, bei dem der Fleiß seiner Autoren schon auf den ersten Blick ins Auge springt: Allein ein Fünftel der 589 Seiten umfasst der Anhang, davon allein 95(!) Seiten Fußnoten - die Frucht einer akribischen Archivrecherche und vieler Gespräche mit Menschen, die zu den vielen Facetten im Leben und Wirken Wolfs Auskunft geben können. Denn der war ja nicht "nur" Regisseur, sondern als Sohn des jüdisch-kommunistischen Schriftstellers und Arztes Friedrich Wolf quasi ein "geborener Kommunist", der aus dem Moskauer Exil 1945 als 19-jähriger Leutnant der Roten Armee in sein Geburtsland zurückkehrte. Später war er viele Jahre bis zu seinem Tod Präsident der Akademie der Künste der DDR und zuletzt sogar Mitglied des ZK der SED.
Ein Künstler also und ein Kulturfunktionär. Dass beides nicht zusammen geht, schon gar nicht in einer stets der "kommunistischen Sache" und Parteidisziplin verpflichteten Künstlerseele, scheint die Prämisse, zu deren Beweis die Autoren all ihren Fleiß aufwenden. Nicht Wolfs Filmen, sondern seiner "exemplarisch deutschen Biografie" im Spannungsfeld der Macht gilt erklärtermaßen ihr Interesse. So füllen sie zum Auftakt erst einmal ein weiteres Fünftel ihres Bandes mit Mutmaßungen darüber, wie kommunistische Erziehung und das Exil in der Sowjetunion den Lebensweg der Wolf-Söhne quasi vorgezeichnet haben, der Konrads älteren Bruder Markus sogar an die Spitze der DDR-Auslandsaufklärung führte.
Wo dann doch noch von Wolfs Filmen die Rede ist, dient auch dies oft nur der Intention, den Filmkünstler Wolf gegen den Funktionär Wolf in den Ring zu schicken, um dann des ersteren Niederlage zu konstatieren. Zu Wolfs erstem internationalen Erfolg mit "Sterne" - 1959 in Cannes Sonderpreis der Jury - wird zwar erwähnt, dass der Film in der BRD nur in einer um die wichtige Schlußszene gekürzten Fassung gezeigt werden durfte, für die Mutmaßung, das sei mit Wolfs Einverständnis geschehen (S.284), bleiben die Autoren aber den Beweis schuldig. An Wolfs vermutlich wichtigstem, stark autobiografischem Film "Ich war 19" (1968) interessiert die Autoren vor allem, wie staatliche Einflussnahme auf das Projekt die ursprüngliche, sehr persönlich gefärbte Schilderung der letzten Kriegstage zugunsten propagandistischer Indienstnahme zurückdrängten, und das Kapitel über Wolfs großen Publikumserfolg "Solo Sunny" (1980) beginnen sie mit der ausgiebigen "Enthüllung", dass es für die Titelfigur ein reales, im Film aber "verschwiegenes" authentisches Vorbild gab. Auch hier, so deuten die Autoren an, habe nur eine Entschärfung der Figurenzeichnung Konflikte mit der Zensur umschiffen können, an der zuvor die Veröffentlichung eines Interviews mit der realen "Sunny" gescheitert sei.
Gelegentlich treibt diese Methode der Mutmaßungen, rhetorischen Fragen und kühnen Deutungen auch seltsame Blüten. Dass Kriegstagebücher beiderseits der Front "in winziger Schrift" geschrieben sind, ist den Autoren im Falle des deutschen Autors Erich Kuby "ein Versuch, sich schreibend der eigenen Realität und des eigenen Lebens zu vergewissern" und sogar ein "Akt der Humanität" (S.166). Im Falle des "Russen" Wolf dagegen argwöhnt man ein paar Seiten zuvor, "das Aufgeschriebene (solle) nicht das Licht der Welt erblicken. Als verkröche sich die Schrift vor der Wirklichkeit. Und mit ihr der Schreiber?"
Wieder so ein Fragezeichen, eines von rekordverdächtig vielen in diesem Buch, und wieder muss die Frageform überbrücken, was die Recherche trotz allem Bemühen nicht hergab. Mit solchen Methoden lässt sich dann auch Wolfs Film "Der geteilte Himmel" (1964) unterstellen, er vertrete "die Politik, die zum Mauerbau führte" (S.304). In einer Art putativer Sippenhaft kriegen dann auch noch Wolfs Vater Friedrich (S. 29 und 130) und der Bruder Markus (S. 395) als politische Opportunisten ihre Portion ab. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Darum sei auch dem Rezensenten angesichts der weit ausholenden Einleitungskapitel und Exkurse des Buches einmal eine - natürlich rhetorische - Frage gestattet: Holt hier jemand nur so weit aus, damit er umso kräftiger zuschlagen kann?