Man glaubte, das Ideal der Slawophilen sei:"Rettich essen und Denunziationen zu schreiben."
Fjodor M. Dostojewski
Dostojewski ist ein Krimi-Autor. Das machte ihn bei den Kritikern verdächtig.
Polina Daschkowa
Der Krimi heißt "Pitomni"“ – zu Deutsch "Der Nachkomme". Der Aufbau-Verlag hat daraus gemacht "Das Haus der bösen Mädchen", denn böse Mädchen sind gut fürs Geschäft. Die Autorin ist Polina Daschkowa, die angeblich berühmteste Kriminalromanschreiberin Russlands. Ihr Anspruch an die Kunst ist sehr gesund: "Um mit Puschkin zu sprechen, ich schreibe für mich und verkaufe um des Geldes willen." 45 Millionen Exemplare ihrer Krimis sollen schon weltweit über den Ladentisch gegangen sein.
Ist das nicht erstaunlich? Denn der moderne Mensch, ausgelaugt von des Tages Fronarbeit, hängt sich abends vor die Glotze und zieht sich CSI oder NYPD rein. Da halten fesche junge Damen kleine Taschenlampen zwischen den Zähnen und krauchen in finsteren Buden auf der Suche nach Spermaspritzern und Intimbehaarung herum. Wenns an die Blutspuren geht, setzen sie eine Art Skibrille auf. Weil sie niemals Schluckauf haben, rutscht ihnen die Lampe auch nicht in den Hals. Und wenn sie mit dem rot lackierten Fingernagel Blut aus dem Badewannenabfluss polken, braucht nur noch eine stinkgeheime Datenbank für Parksünder geknackt werden, in der alle genetischen Fingerabdrücke seit Fred Feuerstein gespeichert sind.
Aber noch gibt es diejenigen, die in der Deutschen Bahn oder im verregneten Urlaub zum Krimi greifen und dann mit Vorliebe Henning Mankell konsumieren. Allerdings wird der komplett verfilmt und man muss ihn nicht unbedingt lesen. Neulich wurde ich vor der Glotze Zeuge, wie im Mankell-Krimi ein schwuler Postbote ein halbes Dorf abschlachtete. Seit den Wikingern Harald Blauzahn und Erich Blutaxt hatte Südschweden kein solches Massaker gesehen! Der Postbote war übrigens nicht wegen der bissigen Dorfköter ausgerastet, nein – er hatte eine schwere Kindheit durchgemacht.
Da fragt man sich, wie mag das wohl in Russland sein, wo fast alle eine schwere Kindheit hatten? In der 14-Millionen-Stadt Moskau etwa. Hier wachen Miliz und FSB (Inlandgeheimdienst) über Recht und Ordnung. Sie stehen zueinander in einem ähnlichen Liebesverhältnis, wie in den USA Polizei und FBI. Polina Daschkowas Polizeiermittler heißt Ilja Borodin (ins Deutsche übersetzt etwa Johannes Brahms). Er ist mittelalt, dicklich, unbeweibt, raucht und trinkt nicht. Am Wochenende geht Borodin nicht etwa fischen oder jagen, wie andere russische Männer, sondern arbeiten. (Russische Frauen haben anscheinend ähnliche Ideale wie deutsche Unternehmer.) Dabei ist er aber nicht kaputt, geschieden und neurotisch wie vorzugsweise schwedische Polizisten, hat keine Macken und keinen Krebs, wie Dürrenmatts Kommissare. Über seinen Blutdruck habe ich nichts gefunden, aber das hat nichts zu bedeuten. Dieser durch und durch vorbildliche Held bekämpft die üblichen Feinde aller Milizionäre, Cops und Polizisten: Bürokratie, Schlamperei, korrupte Vorgesetzte usw. In seiner Freizeit ermittelt er gegen das organisierte Verbrechen, mehrere gefährliche Irre und, etwas untypisch für Moskau, Anhänger des Voodoo-Kults. In der Stadt treiben sich perverse Mörder, Bombenleger und Kinderschänder herum. Und der Pate der Russenmafia, der den Hut aufhat, ist ganz alt und so böse wie ein Krokodil, das eine Rolle Stacheldraht gefressen hat.
In klarer Sprache, mit geglückten Bildern und einer gehörigen Portion russischen Lokalkolorits werden dem Leser diese Abgründe Moskaus vor Augen geführt. Man vergleiche einmal die raue Männersprache der hardboiled detective Story in der Art Dashiell Hammetts (Sein Knie war steif wie eine Klapperschlange, die einen Regenschirm verschluckt hat) mit Polina Daschkowas gediegener Diktion. Ihre Beine, Schultern und Rücken waren von bronzener Bräune, ihr langes hellblondes Haar wehte und glänzte in der Sonne. Sie waren beide hochgewachsen, einsachtzig plus acht Zentimeter Plateausohle, schlank wie afghanische Borsois, und sie sahen vollkommen gleich aus. Der Borsoi ist übrigens kein hungriger Terrorist, sondern die größte Windhundrasse der Welt, früher in Russland zur Bärenjagd gehalten. So weit, so gut. Es folgt die Steigerung: Geld besaßen sie nur sehr wenig, darum dachten sie unentwegt daran, bewunderten die Kleider in der Schaufenstern exklusiver Geschäfte, und ihre blauen Augen wurden noch durchsichtiger und leuchtender, und ihre Wangen färbten sich zartrot. Es ist glasklar, dass diese Zwillinge ein Problem haben werden.
Die in parallelen Ereignissträngen entwickelte Handlung wird geschickt zum Showdown zusammengeführt. Dabei kreuzen sich die Kausalketten in der Riesenstadt etwas häufig und lassen vielleicht mehr Zufälle entstehen, als die mathematische Statistik erlaubt. Aber das Unwahrscheinliche gehört zum Genre des Kriminalromans. Der Verlag schreibt irgendwo im Werbetext, Polina Daschkowa sei an Agatha Christie und Conan Doyle geschult. Das scheint mir so sicher wie die Abstammung des Menschen von Adam und Eva. Für jene, die mehr an Lucy glauben, sei verraten, die Machart erinnert eher an die Krimis der Schweden Sjöwall/Wahlöö aus den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts. Übrigens interessiert sich Polina Daschkowa weniger für das Seelenleben der Täter als vielmehr für das der Opfer. Die verkorkste Kindheit eines Serienmörders wird zwar erwähnt, ist aber für die Handlung bedeutungslos. Diese für den konventionellen Serienmörderkrimi untypische Sichtweise trägt erheblich zum Charme des Buches bei.
Autor: Polina Daschkowa
Titel: Das Haus der bösen Mädchen
Verlag: Aufbau