Als Erika Steinbach, die oberste Berufs-Vertriebene der Deutschen, im Berliner Kronprinzenpalais einen Vorgeschmack auf ihr "Zentrum gegen Vertreibung" präsentierte, fehlte eine Vertriebenen-Gruppe vollständig: Jene anständigen Deutschen, die sich, im Sudetenland lebend und mit ihrem tschechischen Staat identifizierend, gegen die Mehrheitsbewegung der Deutsch-Tschechen gewandt hatte. Denen und ihrem Führer Henlein war der Hitler recht und ins Reich wollten sie alle heim. Wer dagegen war, der musste schnellstens abhauen, wurde in die Rest-Tschechoslowakei vertrieben oder noch weiter. Sonst wurde an ihm exekutiert, was in jener Zeit deutsch war: Folter, Totschlag und auch gern KZ. Auch darüber schreibt Alena Wagnerova in ihrem Buch "Helden der Hoffnung".

Und auch über den Leidensweg der Sudetendeutschen, die ihrem tschechischen Staat gegen die Hitlerei die Treue hielten - zumeist Sozialdemokraten, Kommunisten oder christlich geprägte Menschen - die nach dem Krieg von tschechischen Behörden oder Gruppierungen, wie die anderen Deutschen auch, gedemütigt, ausser Landes geschoben wurde, weiß das Buch der Wagnerova zu berichten. Und so wie sie die doppelten Opfer zu Wort kommen lässt und keineswegs die tschechische Seite schont, hat sie keinen Platz für Zweifel an den eigentlichen Ursachen: Sie benennt den Nationalsozialismus und die Mehrheit der Sudetendeutschen, die dem "Führer" erlagen und folgten. In dieser strengen Wahrheits-Suche und -Liebe unterscheidet sich die Autorin beträchtlich von Frau Steinbach.

Der tschechoslowakische Staat war ein Überbleibsel der Habsburger Monarchie, ein Kind des ersten Weltkrieges. Auf seinem Gebiet mit kaum 14 Millionen Einwohnern lebten 22 Prozent Deutsche, mehr als fünf Prozent Ungarn und die Zahl der Juden kann mit einer knappen halben Million nur geschätzt werden, weil sich viele von ihnen als Deutsche fühlten und so auch registriert wurden. Obwohl Tschechisch die einzige Staatssprache war, wurde unter der Präsidentschaft von Tomas Masaryk, dem Sohn eines slowakischen Kutschers und einer deutschen Bauerntochter, eine moderne Nationalitätenpolitik vertreten: "Wir haben doch deutsche Schulen gehabt, es gab deutsche Parteien, Gesangsvereine und Sportvereine", sagt einer der Protagonisten in Wagnerovas Buch.

Manche der Berichte machen den Leser zum Zwerg, so groß ist der Mut dieser vergessenen Deutschen. Da kommt eine aus einer bäuerlich-proletarischen Familie, man erbettelt Kartoffeln für das Hausschwein, manchmal gibt es Pferdefleisch am Sonntag, die Schuhe haben Löcher doch man war für die Tschechoslowakische Republik. Nach dem die Nazis das Sudetenland "angeschlossen" hatten, setzte es Prügel von den neuen Herren: Die Großmutter wurde zeitweilig eingesperrt, ein Onkel wurde nach Dachau deportiert, dem kommunistischen Großvater wurden die Zähne ausgeschlagen, Hausdurchsuchungen waren an der Tagesordnung, alles unter Mithilfe ehrbarer sudetendeutscher Nachbarn. Solche Riesen sind es, die trotz der Lasten, die sie trugen, Häftlinge aus dem KZ Buchenwald, die man für tot hatte liegen lassen, bis zum Ende des Krieges versteckten.

So sehr die wenigen deutschen Tschechoslowaken, die ihrem Staat die Treue hielten, unter den Nazis und ihren Henlein-Nachbarn litten, so wenig lohnte ihnen der neue Staat diese Loyalität nach den Krieg. Zwar durften sie, anders als die wirklichen oder vermuteten Nazis, rote Armbinden tragen, statt der weißen und deshalb auf dem Bürgersteig gehen, statt daneben. Doch in der neuen Tschechoslowakei bleiben dürfen sie nicht. Rund 50.000 "Antifa-Umsiedler" wurden aus ihrem Land vertrieben. Und wenn sie dann, ob in Bayern oder Thüringen, neu anfingen, standen sie vor dem Nichts. Jener kommunistische Großvater durfte bei seiner Deportation zeitweilig in einer Baracke des KZ Buchenwald nächtigen. Sein Bedarf an Politik, an Einmischen und Helfen war bis zu seinem Lebensende gedeckt.

Alena Wagnerovas Buch ist mehr als eine Erinnerung an vergessene Schicksale. Es ist ein Plädoyer für die differenzierte Betrachtung von Flucht und Vertreibung. Es ist ein sehr europäisches Buch, das an eine antifaschistische tschechoslowakische Exilarmee unter deutscher Beteiligung ebenso erinnert, wie daran, dass der polnische Staat für kurze Zeit Profiteur des reichsdeutschen Einmarsches nach Böhmen und Mähren war: Man eignete sich flugs auch ein Stück der Tschechischen Republik an. Das von Frau Steinbach gern proklamierte "Zeitalter der Vertreibung" hat viele Gesichter. Eines, das kaum jemand kannte, hat die Autorin ans Licht gehoben. Die Tschechische Republik hat sich bei den vertriebenen Antifaschisten entschuldigt. Eine Entschuldigung der Vertriebenenverbände, deren Gründer nahezu ausnahmslos aus der Henleinpartei stammten, steht noch aus.