Einhundertzwanzig Geschichten vom Kino breitet Alexander Kluge in seinem gleichnamigen Buch aus und kommt, trotz Kino-Sterben und Multiplex, trotz Popcorn und Blockbustern, trotz Internet und TV-Serien, zu der festen Auffassung: »Bisher hat sich auch in den aussichtslosesten Lagen immer ein `neues´ Kino herausgebildet.« Das schreibt ein Mann, der wie kaum ein anderer den deutschen Film befördert und beeinflusst hat, dessen `Omnibusfilme´ (Arbeiten mit mehreren Regisseuren zu einem Thema) das Kino politisierten und dessen TV-Firma `dtcp´ einerseits so brillante Serien wie `Zur Person´ mit Günter Gaus zum Leben erweckte, wie zum anderen die schwer erträglichen TV-Magazine von SPIEGEL und STERN ermöglichte. Der Mann sollte es wissen.

Fast gleichzeitig mit dem Erscheinen des neuen Buches wird an dem Regisseur Volker Schlöndorff, einem langjährigen Gefährten von Kluge, ein Exempel statuiert: Schlöndorff, der für eine klarere Trennung von Kino und TV plädierte, der sich öffentlich gegen die Ausbeutung der Filmförderung durch das Fernsehen wandte, wurde von seinem Arbeitgeber, der Constantin Film AG, gefeuert. Es geht um Geld, um jene Millionenbeträge aus Steuergeldern, die das Fernsehen für Filmproduktionen abschöpft, die dann nach wenigen Monaten der Kinoauswertung als Mehrteiler in der Flimmerkiste landen und so dem Kino das Publikum abziehen. Über schnödes Geld schreibt Kluge nicht. Sein Buch handelt über das »Prinzip Kino«, jenes Gesamtkunstwerk, das Bewegung durch öffentliche Mitteilung erzeugt, das eigentliche Lichtspiel.

So erzählt Kluge von dem Kino in Beirut, das mitten in den Kämpfen, unter einem Zeltdach, den Zuschauern Trost spendet, davon, dass man der Polizei nicht die Herstellung von Öffentlichkeit überlassen kann oder von den Unterhosen mit kaiserlichem Wappen, die Erich von Stroheim Komparsen verordnete: »Man sieht die Unterhosen im Film gar nicht. Man sieht sie im Ausdruck der stolzen Gesichter.« Es ist fraglos ein Kino-Wissender, der uns aus den Geschichten anschaut, einer der von dem letzten Film, der in der Reichskanzlei gezeigt wurde ebenso Kenntnis hat, wie von einem Film über Wagners `Götterdämmerung´, gedreht in den letzten Tagen des Weltkrieges in Wien, wiederaufgefunden in Sotschi und präsentiert von `Cahiers du Cinéma´ in Paris. Das alles steht nebeneinander und bildet eine Kette von Filmgeschichten, die aus der Geschichte in die Zukunft des Films weisen.

Selten entlässt der Autor den Leser erheitert. Einmal erinnert er sich an eine jener Diskussionen, die am Rande der Duisburger Filmwoche über »ökonomistischen« Film, der nur beobachtend sei und nicht eingreifend, entbrannte. Tief flogen die Worte »intellektuell« und »kleinbürgerlich«, wer sich nicht duckte, konnte getroffen werden. Vielleicht stellt sich heute nur deshalb eine gewisse Heiterkeit ein, weil die Zeit der Arbeiterfilme und der Lohnforderungen von zehn und mehr Prozent so unendlich lange zurückliegt. Zumeist herrscht ein bedeutungsvoller Ton im Buch vor. Aus dem lakonischen Stil Kluges, der kaum Schlüsse zieht, eher Bildungsrätsel aufgibt, erklingt es erzern, wichtig. Als der Autor vor Jahren in seinem TV-Magazin `10 vor 11´ die sehr kluge und sehr schöne japanische Schriftstellerin Yoko Tawada, die ebenso deutsch wie japanisch schreibt, nach ihrer Nationalität befragte, antwortete die, der Mensch bestehe zu etwa 60 Prozent aus Wasser. Pause. Sie habe in Japan Wasser getrunken, sei auf dem Landweg nach Deutschland gekommen und habe chinesisches, russisches und schließlich auch deutsches Wasser getrunken. Lange Pause. Was sie nun sei? Da schwieg der Meister, er war der eigenen Methode begegnet.

Die Kluge-Methode erscheint besonders pur in einem kleinen Fundstück über jemanden, der mit der DV-Kamera die Wanderungen eines Frosches verfolgt, vom Grass zum Tümpel und weiter. Der dann dieses Stück Film vertont, um es ins Netz zu stellen. Die Reaktionen darauf kommen aus aller Welt, die entfernteste aus dem Nordosten Chinas. Kluge verrät nicht wer dieses Stück hergestellt hat, gibt ihm keinen erkennbaren Zusammenhang. Er lässt den Unbekannten aber folgern: »Er hatte den Eindruck, dass eine neue Zeit begann«. Warum und welche und wer mit wem, das bleibt im Geraune stecken. Als Kluge über das Verschwinden des Frankfurter Delikatessengeschäft Plöger trauert, »Vom Sterben bürgerlicher Errungenschaften« lautet die Überschrift, wird er ein Mal deutlich. Im Zusammenhang mit der Schließung von Plöger interpretiert er die »Gesetze des Freien Marktes«, wenn er behauptet »Die haben ja mit Würde, Vielfalt und Wünschen zu tun, nicht bloß mit Einsparungen.«. Da muss er einen anderen Markt kennen als ihn die Arbeitslosen und die Kunden der Bekleidungs- oder Fast-Food-Ketten gewöhnlich erleben.

Viel ist von der Macht der Bilder im Buch die Rede, über die Verfügungsmacht wird sorgsam geschwiegen. Das hätte man dem Mitbegründer des Autorenfilms eigentlich nicht zugetraut. Vielleicht gibt Kluges Web-Site einen Hinweis auf das, was man ihm zutrauen darf. Dort ist die komplette »Laudatio von Bundespräsident Horst Köhler bei der Ordensverleihung des Großen Bundesverdienstkreuz« an Alexander Kluge aufzurufen.

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