Es ist ein hochgelobtes Buch, das der Aufbau-Verlag vorlegt: Die "New York Times" nennt es einen großen Wurf, der Boston Globe glaubt, dass "Eine Klasse für sich" von Curtis Sittenfeld süchtig macht und der "New York Observer" erblickt ein herausragendes Debüt. Für den europäischen Leser ist dieser Sitten- und Gebräuche-Roman über ein amerikanische Elite-Internat als ethnologische Studie fraglos lehrreich.

Lee Fiora, die Hauptfigur des Buches, kommt mit 14 Jahren aus der Provinz, aus Indiana, an die Bostoner Oberschichtenschule, ein Stipendium macht es möglich. Sie gehört zu den Quotentupfern: Hier ein Farbiger, dort eine Latina und eben Fiora, Tochter eines Matrazenhändlers, der einen Billig-Japaner fährt, während andere Väter an den Besuchstagen, die großen Inszenierungen gleichen, mit den Daimlern und den Jaguars protzen. Das schärft den Blick, sollte man meinen, das kann Erkenntnisse auslösen.

So bekommt die geneigte Leserin einen kurzen Lehrgang in Coolness für Oberschichtenkinder: Man spricht nicht über Geld, aber Mutti lässt das Internatszimmer des Töchterchens vom Familiendesigner einrichten, man toleriert Juden oder Farbige, aber man übersieht sie, man ist sicher, dass die ganze Welt für die eigene Schicht gemacht worden ist, aber man will auf keinen Fall "den peinlichen Eindruck erwecken, es ginge um irgendetwas." Das Wesentliche ist der Stil, das Design bestimmt das Bewusstsein.

Der Sittenfeld gelingt es zuweilen großartig, den flüchtigem Duft der Pubertät auf Papier zu bannen, die Suche nach dem eignen Ich, die in diesem Alter gerne von der Suche nach dem eigentlichen Geschlecht überlagert ist, zu beschreiben. Wenn sie ihre Heldin zum Beispiel darüber grübeln lässt ob sie lesbisch ist und auf eine Broschüre mit dem Titel "Bin ich homosexuell?" zuschreibt, um Lee Fiora dann kommentieren zu lassen: "Nein, du bist nicht homosexuell, dachte ich. Du bist eine Broschüre", gelingt ihr immer wieder ein wenig Alltagskomik.

Mit Lee Fiora, dem Kinde der unteren Mittelschicht, das unter die Oberschichtengören gerät, kann der Leser die ganze Einsamkeit des Internatskindes aus der falschen Schublade nachempfinden und auch die Fluchten, die man nehmen muss, wenn man nicht dazugehört: Nicht auf die Party gehen, die zu viel Geld kostet, nicht in die Kneipen, die man sich nicht leisten kann, sich für die eigenen Eltern schämen, sie zu verstecken versuchen, wenn sie am Besuchstag in Konkurrenz zu den Eltern anderer Kinder stehen.

Lees Vater, gibt mit kleinen Auftritten das volle Kontrastprogramm. Als er erfährt, dass die Mehrheit der Internatskinder ihre Wäsche für dreitausend Dollar im Jahr waschen lassen, seine Tochter wäscht natürlich selbst, tönt er, dass er für diesen Betrag Frau und Söhne mit einem Waschbrett der Tochter hinterherschicken würde. Immer wenn Curtis Sittenfeld die kleinen gesprochen oder auch nur gedachten Dialoge zwischen Vater und Tochter schreibt, über den Zusammenprall zwischen dem Anpassungsdruck der heranwachsenden Fiora und dem robusten Selbstbewusstsein des Matrazenhändlers, gelingen ihr große Miniaturen sozialer Einblicke.

Diese kleinen Feldgewinne sozialer Erkenntnis müssen zunehmend den Ritualen einer nicht standesgemäßen Beziehung weichen, als sich Fiora in den Sohn einer privilegierten Familie verliebt, der sich ihrer bedient, aber nicht daran denkt, sich wirklich auf auf sie einzulassen. Vor unseren lesenden Augen läuft eine Frauen-Männer-Story ab, deren Essenz wohlbekannt und keineswegs nur an soziale Fragen gebunden ist. Die begonnene Beschreibung eines Konkurrenzsystems, das auf das normale Leben in den USA vorbereitet, die Erzählung über angelernte Bildung, die mit menschlicher Stumpfheit verbunden, Oberschichten auffällig häufig prägt, verflacht zunehmend zum pubertierenden Alltagsdrama, in dem die ausführliche Schilderung eines Blow-Job ziemlich sicher mit dem Blick auf die Auflage geschrieben worden ist.

Wenn die Sittenfeld ihre Heldin auf ihre Internatszeit zurückblicken lässt, ist zu erkennen, wie wenig die beiden wirklich verstanden haben: das Internat "hatte mich gelehrt, wie man Menschen anzieht und fernhält" und es "war das härteste Publikum gewesen, dem ich mich je hatte stellen müssen, und das ging soweit, dass ich es später manchmal enttäuschend einfach fand, Menschen zu gewinnen." - Curtis Sittenfeld ist erst 29 Jahre alt und wenn diese zitierte Erkenntnis alles an jugendlichem Schwung ist, den die Autorin aufbringt, dann muss uns um ihre Zukunft nicht bange sein: Sie wird noch ein wenig schreiben, dann einen Arzt oder Rechtsanwalt heiraten, um irgendwo am Rande eines Golfplatzes eine reiche Randexistenz zu führen.