Die ZEIT – selten verlegen, antirussische Klischees zu bedienen – weiß diese scheinbar in allen Lebenslagen zu verbreiten: Im April 2020 richtet sie sich in Zusammenarbeit mit dem Internetdienst Facebook an Schulkinder, die da lernen sollen: »[Russische ›Trollfabriken‹] untergraben gezielt das Konzept von Wahrheit, stiften Verwirrung und versuchen, das Vertrauen in wissenschaftlich oder journalistisch recherchierte Informationen zu zerstören. Damit säen sie Mißtrauen gegenüber demokratischen Institutionen. Dies ist eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft und die demokratische Grundordnung.« [0]

Ein Widerspruch von Ansgar Schneider

Ich will mir hier nicht die Mühe machen, allzu viele Worte über das antirussische Feindbild zu verlieren, das hier bemüht wird. Mit einem Feindbild lebt es sich doch leichter, das muß man zugeben, und so möge sich jede PR-Agentur ihr Feindbild nach eigenem Gutdünken wählen.

Was sich hingegen zu kommentieren lohnt, ist die demokratietheoretische Aussage, daß »Mißtrauen gegenüber demokratischen Institutionen [...] eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft und die demokratische Grundordnung« sei. Das ist eine Aussage, die mir in verschiedenen Formen im privaten Gespräch, wie auch in der Presse, derzeit vermehrt begegnet.

Mißtrauen gegenüber der Macht

Mißtrauen und Zweifel sind fundamentaler Bestandteil einer jeden Demokratie. Dieser grundlegende Gedanke manifestiert sich zum Beispiel in dem, was man in rechtsstaatlicher Sprache Gewaltenteilung nennt. Auch die Freiheit der Presse und die Freiheit von Lehre und Forschung spiegeln diesen Gedanken wieder.

Dieser Gedanke bleibt so, in seiner Einfachheit formuliert, zunächst abstrakt. Erst seine Manifestation im konkreten Einzelfall gibt ein Gefühl dafür, was er denn eigentlich bedeuten mag. Der aktuelle Einzelfall, über den ich hier sprechen möchte, ist die gegenwärtige Aufhebung bürgerlicher Rechte aufgrund der beobachteten Infektionswelle durch SARS-CoV-2. Zu nennen sind da: die Versammlungsfreiheit, die Freiheit der Berufs- und Religionsausübung und das recht auf Freizügigkeit.

Der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers von der HU Berlin kommentiert diesen Einzelfall nun mit den Worten: »Das Infektionsschutzgesetz, das jetzt zur Grundlage des politischen Handelns gemacht wird, gibt die weitreichenden Einschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger einfach nicht her.« [1] Der Verfassungsrechtler Hans Michael Heinig von der Uni Göttingen bedenkt, daß »sich unser Gemeinwesen von einem demokratischen Rechtsstaat in kürzester Frist in einen faschistoid-hysterischen Hygienestaat« verwandeln könne. [2]

Diese beiden Herren zeigen Mißtrauen und Zweifel gegenüber einer demokratischen Institution, in diesem Fall der Bundesregierung. Es geht darum, Schäden an der ohnehin dürftigen demokratischen Verfaßtheit unserer Gemeinschaft zu verhindern. Aus diesem Zweifel können sich neue Kräfte entwickeln, um mit anderen Menschen eine schöne, wünschenswerte, bessere Zukunft auszudenken und zu verwirklichen.

Das ist – in meiner persönlichen Sicht – eine positive Form von Mißtrauen und Zweifel. Es ist das Mißtrauen, das Bürger – also der Souverän – staatlichen Institutionen, Pressehäusern oder sonstigen einflußreichen Stiftungen oder Organisationen gegenüber mitbringen müssen, um Machtmißbrauch zu erkennen und zu verhindern. Der Existenz von Vereinen wie dem Bund der Steuerzahler, LobbyControl, ProAsyl und vielen anderen liegt dieses Mißtrauen, das an der Unfehlbarkeit staatlicher oder einflußreicher Organisationen zweifelt, zugrunde.

Mißtrauen gegenüber dem Bürger

Es gibt aber auch eine andere, die Gesellschaft zersetzende, Form von Mißtrauen und Zweifel, nämlich Mißtrauen und Zweifel, die eine Regierung oder Medien gegenüber dem selbstbestimmten, kritischen oder einfach nur unabhängigen Bürger hegen. Es gibt in der Geschichte viele Beispiele für diese Art des Mißtrauens.

Zum Beispiel bekundet und erzeugt Die Zeit mit dem oben genannten Zitat Mißtrauen gegenüber dem Bürger, indem sie einen Baustein der Demokratie – das Mißtrauen gegenüber denen, die Macht ausüben – in eine »Bedrohung« umdeutet: Er, dessen Mißtrauen bedroht, verdient, mißtrauisch beäugt zu werden!

Andere Manifestationen dieses Mißtrauens können die Ermutigung zu persönlicher Denunzierung und Ächtung von politisch Andersdenkenden sein: Heute gehen zahlreiche Hinweisen von besorgten Bürgern bei der Polizei ein, deren Inhalt darin besteht mitzuteilen, daß da drüben auf der Bank drei Leute zu nah zusammensitzen. Offenbar sind die Meldungen so zahlreich, daß sich die Polizei zu einer Rechtfertigung aufgerufen sieht: »Die Leute rufen hier nicht an, um jemanden anzuschwärzen, sondern weil sie einsehen, es geht hier um etwas Wichtiges.« [3] Natürlich nimmt die Ächtung von Regierungskritik derzeit in den Leitmedien wieder Fahrt auf: leicht zu erkennen am gegenwärtig vermehrten Gebrauch der pseudowissenschaftlichen Vokabel »Verschwörungstheorie«, [4,5] mit der sich jeder Tübinger Beamte so gut blamiert, wie er kann. [6,7]

Das zersetzende Mißtrauen gegenüber dem Bürger kann sich auch in Form von Überwachung oder Unterbindung des freien Meinungsaustausches manifestieren. Deswegen läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich in der aktuellen Situation lese, wie Leitmedien – wie etwa Der Spiegel – explizit Werbung für das Ende des freien Meinungsaustausches machen: »Um Propaganda und Falschinformationen zu bekämpfen, müssen die Demokratien des Westens die gesamte Kommunikation im Internet regulieren, meint der britische Autor Peter Pomerantsev.« [8]

Die Grenze zwischen Faschismus und Demokratie verläuft fließend. Es ist mal wieder Zeit, einen Scheinwerfer an den Punkt zu stellen, den das Grundgesetz markiert. Die Leitmedien finden sich im Dunkeln einfach nicht zurecht.

Verweise:

[0] Seite 2, Orthographie angepaßt, https://service.zeit.de/schule/wp-content/uploads/sites/9/2020/03/2004-ZEIT-ZfdS-Sek2-Facebook-fake-news.pdf

[1] https://www.focus.de/politik/deutschland/corona-regelungen-der-regierung-medizin-darf-nicht-gefaehrlicher-sein-als-die-krankheit_id_11827625.html

[2] ebenda

[3] https://www.br.de/nachrichten/bayern/buerger-melden-eifrig-verstoesse-gegen-corona-regeln,RuGXp1h

[4] https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-03/coronavirus-verschwoerungstheorien-entstehung-angst-ungewissheit/komplettansicht

[5] https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-alternative-fakten-zu-corona-das-netzwerk-der-verharmloser-und-verschwoerer-100.html

[6] Kapitel 5, ab 2:00:22:

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[7] https://www.nachdenkseiten.de/?p=59923

[8] https://www.spiegel.de/kultur/peter-pomerantsev-ueber-fake-news-die-corona-krise-ist-auch-eine-desinformationskrise-a-a6333a7c-f997-43dd-87ae-5b62de590f1f

Autor:
Dr. Ansgar Schneider ist Physiker und Mathematiker. Seit fünf Jahren beschäftigt er sich mit Propaganda und Fehlinformationen über den 11. Septembers 2001. 2018 erschien sein diesbezügliches Buch »Stigmatisierung statt Aufklärung«.