Diesen internationalen Fan-Erfolg kann nicht einmal die Popgruppe Tokio-Hotel aufweisen: Anfang Juli 1915 fand in Adelaide, Australien, eine "Karl-Liebknecht-Feier" statt. Sie wurde von rund 1.000 Personen besucht. Karl Liebknecht konnte bei dieser Feier nicht dabei sein, er tat, als einziger Reichstagsabgeordneter, strafweise Dienst in der kaiserlichen Armee, denn kurz zuvor hatte er, ebenfalls als einziger, gegen die Verlängerung der Kriegskredite gestimmt. Es war der erste Weltkrieg gegen dessen deutsche Beteiligung Liebknecht auftrat. "Die Liebknechts", das vorliegende Buch von Annelies Laschitza, handelt vor dem Hintergrund eines schon länger währenden Krieges der Unten gegen die Oben, ein Krieg, in dem die Liebknechts, ob der Vater Wilhelm oder der Sohn Karl, Generäle lieferten, die sich als Soldaten verstanden. Als Parteisoldaten.
Es ist die große alte Arbeiterpartei SPD, in der weite Teile der Familienbiographie spielen, deren Mitgründer Wilhelm war und deren Führung, Jahrzehnte später, den Tod des Sohnes billigend in Kauf nahm. Dass die beiden Arbeiterfunktionäre aus dem Kleinbürgertum stammten, Wilhelm war Sohn eines hessischen Regierungsbeamten, Karl war folgerichtig Sohn des Lehrers und Reichstagsabgeordneten, ist bis heute nicht untypisch für linke Parteien. Und geblieben ist auch die Grundfrage linker Politik, die nach Reform und Revolution, die mit der Biografie der Familie Liebknecht erneut aufgeworfen wird: Wie viel Konsequenz, wie viel Opposition gegen die jeweils herrschenden Verhältnisse muss linke Politik in sich tragen, um als richtig erkannte Ziele umzusetzen und wie viel Kompromiss darf es denn sein, um mehr als Nein zu sagen. Was nicht geblieben ist, sind jene märchenhaften Arbeiter mit Bildungshunger, Tatendrang und der Bereitschaft geschichtsmächtig einzugreifen deren Bewegung die Liebknechts entsprungen sind.
Obwohl das Buch ein Familienportrait suggeriert und tatsächlich private Szenen der Familie Erwähnung finden, ist die Arbeit wesentlich politisch und konzentriert sich relativ rasch auf den jüngeren der Liebknechts, auf Karl, der 1871 geboren wurde, im selben Jahr, in dem sein Vater die Ausrufung der Pariser Kommune begrüßt und im Norddeutschen Reichstag gegen einen weiteren Kredit für den Krieg in Frankreich stimmt. Auf die heutige SPD übersetzt müsste das aktuelle Fraktionsmitglied die Atomanreicherung des Irans begrüßen, vielleicht mit dem korrekten Argument, dass die Anreicherung ja den Buchstaben des Atomwaffensperrvertrags entspräche und gegen jedes Afghanistan-Mandat stimmen. Der alte Liebknecht bekam damals zwei Jahre Festungshaft wegen Hochverrats und die junge sozialdemokratische Partei solidarisierte sich mit ihm. Heute dürfte er sicher die Fraktion verlassen müssen und hätte ein unausgesprochenes aber faktisches Talk-Show-Verbot.
Dass der Sohn Karl fünfundzwanzig Jahre später auch wegen Hochverrats zu Festungshaft verurteilt wird, erscheint nur folgerichtig: "Der Kleine gedeiht sehr gut und wird hoffentlich seinen Paten Marx und Engels Ehre machen", zitiert Laschitza aus einem Brief Wilhelm Liebknechts. Der Vater ist sich sicher, dass der Sohn in seine Fußstapfen treten wird. Schon früh hatte der junge Rechtsanwalt Karl Liebknecht, Sozius seines Bruders Theodor, sein Thema entdeckt: Den deutschen Militarismus. Ob mit dem Angriff auf Fehlurteile der Militärjustiz, die Brandmarkung von Drill und Disziplin oder mit seiner programmatischen Schrift "Militarismus und Antimilitarismus", er verkörperte die äußerste Linke der SPD. Insbesondere seine Bemühungen um "die Jugend" sah die Mehrheit der Partei kritisch: Konflikte mit der Staatsmacht, die in "der Jugend" wesentlich junge Soldaten begriff, schienen vorprogrammiert. Die Sozialdemokratie war dabei sich zu etablieren, größere Risiken wollte man nicht mehr eingehen.
Der im Buch von politischem Kampf zu politischem Kampf hetzende Liebknecht bleibt seltsam leblos. Das mag daran liegen, dass Terminkalender von Politikern, wenn sie nicht in die historischen Spannungszustände und die daraus resultierenden Fragen gesetzt werden, ohnehin nicht besonders lebendig sind. Es kann aber auch an der Behandlung Liebknechts als Denkmal liegen. Zwar hütet sich Annelies Laschitza vor auffälligem, distanzlosem Lob, aber einmal verrät sie doch dezent wo ihre Sympathien liegen: "Im Frühjahr 1910 vermochte er (Liebknecht) dem Liebeswerben einer anderen Frau nicht zu widerstehen." Der arme Karl, seit geraumer Zeit betrügt er seine Frau mit Sophie Ryss, die er später heiraten wird, und dann erliegt er geradezu dem Werben einer dritten Frau. Hier sollte sich das Mitleid in Grenzen halten.
Den Karl Liebknecht von seinem Ende, von seiner Ermordung her gedacht, das lässt kaum Raum für anderes als Verehrung: Sein einsamer Kampf gegen die Mehrheits-SPD mit ihrem scheinpatriotischen Gefasel, seine Unbeirrbarkeit, trotz Zuchthaus und Armierungsdienst, gegen den imperialistischen deutschen Krieg anzugehen und sein Beharren auf einer echten deutschen Revolution, geben ihm die untadlige Grundierung des Märtyrers für die gute Sache der Arbeiter. Aber wenn er und auch kein anderer des sich gründenden Spartakusbundes im "Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte", dem temporären Machtzentrum der Revolution, vertreten war, wenn genau dieses Gremium von der Mehrheits-SPD dominiert wurde, wäre eine genauere Beschäftigung mit den Legenden der Revolution - Biographie hin, Respekt vor einer Lichtgestalt deutscher Geschichte her - durchaus angemessen gewesen. So bleibt ein resignierendes Zitat der USPD "dass der Kampf für die Rätediktatur schon deshalb gegenstandslos sei, weil die Diktatoren von der ihnen zugedachten Mission nichts wissen wollten". Und es bleibt ein materialreiches Buch, das Steinbruch für die Debatte sein kann, an der Diskussion selbst aber kaum teilnimmt.