Er wolle sich nicht jeden Tag diese Vergangenheit vorhalten lasse, er wolle es nicht leiden, dass Auschwitz als Moralkeule dienlich sein könne, diese Positionen fielen Martin Walser aus dem Gesicht, als er im Oktober 1998 in der Paulskirche seinen Dank für die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels leistete. Neben der politischen und moralischen Merkwürdigkeit dieser Haltung, die dem Schriftsteller viele falsche Freunde und eine Reihe guter Feinde eingebracht hatte, gab es noch eine weitere Erstaunlichkeit: Kein Stoff aus der deutschen Geschichte ist so dramatisch, so bewegend wie eben die Zeit zwischen 1933 und 1945, kein Stoff eignet sich mehr als dieser, ihn zu Filmen, Theaterstücken oder Büchern zu verarbeiten, warum ausgerechnet ein Autor lieber "wegschauen" mochte bleibt ein Rätsel.

Der Schriftsteller Bernhard Schlink hat sich mit seinem neuen Buch »Heimkehr" dieser Zeit zugewandt und einen Heimatroman geschrieben. Es sind ganz leise Töne, die der Text zu Beginn freigibt, es sind die schönen Ferien bei den Schweizer Großeltern die der kleine Peter Debauer verbringt, die die ersten Seiten des Romans bestimmen. Alles ist besser in der Schweiz der 50er Jahre als in dem Deutschland, aus dem der Junge zu Besuch aus der kleinen Stadt im Westen, in der er mit seiner Mutter und der Erinnerung an den Vater, den Sohn der Schweizer Großeltern, lebt Fast unmerklich wird der Junge groß und die Geschichte bewegt sich auf den den deutschen Krieg, auf die Heimkehr eines Soldaten zu, auf die Odyssee eines Heimkehrers.

Schon als Kind hatte Peter Debauer Fragmente dieses Groschenromans gelesen: Die Großeltern lektorierten in Heimarbeit und die leeren Rückseiten der Druckfahnen dienten als Schmierpapier. Weitere Fragmente tauchen bei einem Umzug auf und Debauer ist fasziniert: Das Ende will er lesen, wissen wer der Autor ist, der offensichtlich das antike Epos über die Abenteuer des Odysseus in einen Nachkriegsreißer verwandelt hat, in dem, Hans Hellmut Kirst lässt grüßen, der Landser, sich irgendwo in russischer Kriegsgefangenschaft von einer heißblütigen Kalinka (Circe) los reißt, um in die Arme der Angetrauten zurückzukehren (Penelope). Für Debauer wird die Suche nach dem Autor zur Obsession, er beginnt seine eigene Odyssee und findet auf Umwegen die Spur des Autors, der schon für das Göbbels-Blatt "Das Reich" schrieb und dort eine scheinphilosophische Rechtfertigung der Naziverbrechen verbrochen hatte.

Einer der Umwege führt Hanke über den Wohnort der Mutter im Krieg, nach Breslau, und lässt ihn dort auf den Gauleiter von Niederschlesien stoßen, Karl Hanke, der »nicht umsonst hat der Führer ihn geliebt«, in einer Zeitzeugin als »der beste« weiterlebt. Schlink oder Debauer, beide brauchen den Hanke um sich erneut zu versichern wie schweinisch die Schweinerei war und wie verwoben mit dem Deutschland dem sie entstammen: Hanke »verteidigte« Breslau gegen die Rote Armee zu Tode, dem »Henker von Breslau« soll die Flucht gelungen sein.

Die leisen Töne des Anfangs weichen jetzt den Synkopen einer Jagd, der Debauer sein Leben unterordnet und die ihn vermuten lässt, dass der Gesuchte sein Vater ist. Die Vatersuche, die nach den Wurzeln und nach der Heimat wird überlagert von jenem jüngeren Teil der deutschen Geschichte, der noch lange die gesamte Geschichte der Nation überschatten, dominieren wird. Insbesondere weil Debauer mit seinem Vater auf einen Revisionisten trifft, der die Nazi-Verbrechen mit dem rechtsphilosophischen Dekonstruktivismus relativiert, sie durch die Subjektivierung des Rechtes "wer Böses tut kann Gutes wollen", frei spricht. Um praktisch erfahrbar zu machen, dass in uns allen das Böse lauert, lotst der Vater den Sohn in eine Psycho-Seminar, ein menschenwürdiges Experiment, in dessen Verlauf der Sohn erfährt, dass er fähig ist "böse zu handeln".

Mit Peter Debauer kehrt auch Bernhard Schlink heim. Ungewiss bleibt ihm die Heimat, unsicher das Bild vom gestrigen Deutschland, das, mit einem glänzend geschrieben Buch belegt, in das heutige hineinragt. Ungeklärt bleibt die Frage, die wir Nachgeborenen immer wieder gestellt haben: Wie hätten wir uns in jener Zeit verhalten, wären wir Täter oder Widerständler gewesen, angepasst oder exiliert? Schon die Frage impliziert jene Dramatik, die Walser nicht mehr sehen wollte und die doch immer wieder produktiv eigenes Leben und eigenes Land hinterfragt und positiv beantwortet sein will. So ist dem Schlink etwas gelungen, was nicht nach Keule sondern nach Florett aussieht und doch sehr moralisch agiert und poetisch überzeugt.

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