So sah es damals aus, das Kriegs-Deutschland, dass seit einiger Zeit wieder Soldaten in die Welt sendet: Zerbombt, zerschlissen, zermürbt zeigt uns der Film ein Hamburg, in dem das Überleben wichtiger geworden ist als alles andere. Im Frühjahr 1945 gab es zwar noch Fronten an denen gekämpft wurde, aber unterhalb der Fanfaren aus dem Radio, der Durchhalteparolen und der Lügen über den Endsieg fällt das Hitler-Reich längst in das, woraus alle Reiche bestehen: Ins Private. Und das, was vom Reiche übrig blieb, das hatten nun die Frauen in der Hand. Sie trugen die Lasten der Versorgung, sie arbeiteten in den Fabriken, aus ihnen war der Stoff für ein neues Leben, jenes nach dem Krieg, gemacht. Darüber erzählt der Film »Die Entdeckung der Curry-Wurst».

Mit Lena Brücker, von Barbara Sukowa nicht gespielt sondern gelebt, stellt der Film eine dieser kräftigen Überlebensfrauen in seinen Mittelpunkt. Sie leitet einen Kantine. Das wäre heute ein Beruf wie viele andere auch, doch am Ende des deutschen Krieges, als alles knapp geworden war, war es eine Arbeit in der Nähe der Verheißung: Das roch nach Essen, nach satt werden, nach besserem Leben. Knapp waren nicht nur die Lebensmittel, knapp waren auch die Männer. Was nicht an der Front war, das war alt oder Nazi. Und mit solchen gibt sich die Brücker nicht ab. Zwar spiegelt sich in ihr nicht der deutsche Widerstand, der ohnehin am Kriegsende in die Nähe des Nichts geschrumpft war, in Zuchthäusern oder Konzentrationslägern vegetierte, wenn nicht längst umgebracht. Aber das Widerständige, das Schnauze-Voll-Haben, dass ist ihr schon eigen.

Mitten in der Männerknappheit taucht der junge Marinesoldat Bremer (Alexander Khuon) im Leben der Brücker auf, als wäre er eine Zeile aus dem Kino-Gassenhauer »Für eine Nacht voller Seeligkeit, da geb´ ich alles hin . . . « Man sieht sich im Kino, landet im Luftschutzbunker und später auch im Bett der Frau. Was unsentimental beginnt, beiden ist der Hunger nach dem Ende der Trostlosigkeit ins Gesicht geschrieben, geht mählich in so etwas wie Liebe in den Zeiten des Krieges über und gerät zur Fahnenflucht. Denn natürlich hätte der junge Soldat sich am anderen Tag wieder bei seiner Einheit melden müssen, auf Desertion steht der Tod, aber wenn doch überall gestorben werden kann, im Bombenhagel oder an der verlorenen Front, warum dann nicht noch ein paar Tage Wärme, Sehnsucht und Erfüllung?

Anfänglich spielt der Film nur mit der Situation und der Zeit: Ein Alltag von Blockwart-Spitzelei, von Nazi-Kotzbrocken, von großen Feigheiten und kleinen Listen zeigt sich in den kargen Bildern des holländischen Kameramannes Theo Bierkens, der mit dem Licht spielt, als wäre es ein Hauptdarsteller. Dann macht der Film ernst: Aus dem riskanten Flirt wird der Brücker eine tiefe Liebe. Die nicht mehr junge Frau erblüht und die Sukowa, strafft ihren Gang, leuchtet von innen, macht eine dieser unbeschreiblichen Wandlungen durch, die nur die großen Schauspieler so leicht, so elegant können. Und weil sie weiß, dass ihr kleiner Soldat mit dem Ende des Krieges, nach dem Ende der Gefahr gehen wird, verlängert sie den Krieg für ihn: Das Radio ist kaputt, er kann nicht auf die Straße, sie erfindet Tag für Tag eine Welt, die sein Gefängnis und ihre vorläufige Rettung ist.

So ganz am Rande wird dann auch noch die Curry-Wurst erfunden, ein Mythos auf ein Märchen gesetzt, auf ein Märchen, das der Schriftsteller Uwe Timm mit seiner Novelle Anfang der neunziger Jahre erfunden hat und das nun von der Regisseurin Ulla Wagner lakonisch und stimmig nacherzählt wird. Ob Buch oder Film: Beide Arbeiten setzen dem unbekannten Deserteur und dem privaten, dem unpolitischen Widerstand ein unzerstörbares Denkmal. Denn wer wollte der Kraft der Märchen etwas entgegensetzen, außer eine schäbige Wirklichkeit. - Der Film kommt am 11. September in die Kinos.

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Den Film zur »Entdeckung der Currywurst" habe ich nicht gesehen, ich kenne nur das Buch. Das ist so ein heiteres Feuilleton über ein Kriegsende ohne Schrecken. Wieviel Privatheit soll denn der Zusammenbruch der Hitlerei vertragen, frage ich mich...

Den Film zur »Entdeckung der Currywurst" habe ich nicht gesehen, ich kenne nur das Buch. Das ist so ein heiteres Feuilleton über ein Kriegsende ohne Schrecken. Wieviel Privatheit soll denn der Zusammenbruch der Hitlerei vertragen, frage ich mich und antworte: Sehr, sehr wenig.

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Peter Perten
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Viel, sehr viel. Denn für den kleinen Moment, in der die alte Gesellschaft vergangen ist und die neue noch nicht existiert, ist alles privat.

Uli Gellermann
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