In einer großen Auflage bringt der "Spiegel", als Beilage zum Blatt, eine DVD zum 11. September 2001 unter die Leute. Fünf Jahre nach den erschütternden Ereignissen erwartet man von einem Qualitätsblatt, das immer noch für sich in Anspruch nimmt die deutsche Intelligenz mit Nachrichten zu versorgen, Novitäten zum Jahrestag. Geliefert wurde ein herkömmliches Stück "Spiegel"-TV: Aufgeregt und dräuend in der Musik, zappelig geschnitten und kalt kommentiert.

Vorneweg die Bilder, die wir alle kennen: Die Flugzeuge, die in die Twin-Towers rasen, die Töne, die sich ins Gehirn gebrannt haben, die letzten Worte einer Flugbegleiterin. Schnell ist der Film in Hamburg: Hier, so suggeriert die DVD, liegt die eigentliche Wurzel des Attentats. Die Methode ist bekannt: Nur wenn das Entsetzen in der Nähe des Lesers, des Guckers geschieht, nimmt er ernsthaft Anteil. Die Wirklichkeit, die internationalen Zusammenhänge fallen zwar nicht völlig unter den Tisch, wirken aber eher störend wenn man Hamburg als Bühnenbild braucht.

Ein lang ein breit sehen wir das Home-Video einer Hochzeitsfeier in Hamburg, an der eine Reihe von Terror-Netzwerkern teilgenommen hatte. Der Erkenntnisgewinn ist klein, die geografische Nähe groß. Selbst wenn in einem Kommentarsatz ein »Bosnienkämpfer« auftaucht, nutzt der Film nicht die Möglichkeit, inhaltliche Verbindungslinien zu ziehen. Muslimische Bosnienkämpfer, dass waren doch die »Guten«, die gegen die »Bösen«, mehrheitlich Serben, gekämpft haben. Wie kommen denn die jetzt in die Schurkenrolle? Das weiß der »Spiegel« auch nicht. Dafür gießt er ordentlich Musiksoße über die Bilder, blendet immer wieder dämonische Fahndungsfotos ein und latscht dekonzentriert durch Hamburg.

Der Aufbau ähnelt einem soliden Polizei-Video über einen Verkehrsunfall: Wer kam wann mit welchem Fahrzeug von links, wer hat wem die Vorfahrt genommen, was sagen die Zeugen? Die die »Zeugen«, die vom "Spiegel" Interviewten langweilen sowohl durch ihre enge Auswahl, als auch durch ihren begrenzten Horizont: Der New Yorker Staatsanwalt, der Hamburger TU-Chef, die diversen Vermieter, die Auto-Verleiher und die Flugausbilder der Terroristen, alle wissen Häppchen, keiner kennt und sieht das Ganze.

Politische, soziale und ökonomische Zusammenhänge, die Frage, warum Terror entsteht und wie man ihn, nach Beantworten der ersten Frage, politisch bekämpfen könnte, wird erst gar nicht gestellt. Als einer der Zeugen, ein französischer Terror-Ermittler als Kenner der terroristischen Finanzströme vorgestellt wird, erwartet der Betrachter zumindest die Frage nach den Börsenspekulationen einen Tag vor dem 11. September. Immerhin wurde mit den Papieren der betroffenen Flug- und Versicherungsgesellschaften massiv auf Baisse spekuliert, jemand weit oben, mit viel Geld und Börsenzugang muss also vorher was gewusst haben. Statt dieser Frage und einer möglichen Antwort, sehen wir Kontoauszüge von Leuten der zweiten Kommando-Ebene und erleben einen Journalismus, den die »Bäckerblume« auch nicht hätte besser leisten können.

Einmal lässt Aust, der Chefredakteur des »Spiegel«, die Katze aus dem Sack als er auf ziemlich beliebige Bilder kommentiert: »Mit Terror-Verdächtigen geht man in Deutschland pflegeleicht um.« Gemeint ist, dass die deutsche Justiz doch tatsächlich Leute, denen man nichts nachweisen kann, einfach nach Hause gehen lässt. Was hatte der Herr erwartet? Ein Hamburger Guantanamo? Auch deshalb erwähnt der »Spiegel«, fünf Jahre danach, nicht einmal die gängige Kritik der amerikanischen Oppostion, die nach dem 11. September sehr wohl Einschränkungen der Demokratie und der Meinungsfreiheit erkennt, aber Null Wirksamkeit in der Bekämpfung der Wurzeln des Terrors.

Nach gut 70 Minuten Polizei-Video sieht man sich wenig hoffnungsvoll noch acht Minuten »Bonus«-Material an und wechselt in das Genre des Militärfilms. »Spiegel«-Autoren dürfen in Afghanistan aus US-Kampfhubschraubern filmen, warm embeded sitzen sie auf Panzerfahrzeugen der US-Marines, wenn die ein Dorf besetzen. Natürlich ist der »Spiegel« uneingeschränkt auf der Seite der Marines und lässt sie deshalb vor der Kamera patriotische Sätze absondern wie: »Ich habe mich fünf Monate nach dem 11. September freiwillig gemeldet!« oder » Es ist aufregend zu wissen, dass wir die Täter aufspüren können!«

Keine Analyse, kein eigener Gedanken, alles schon Vielfach durchgekaute Nachrichten und jede Menge US-Propaganda. Schon lange ist kein solch verkommenes, intellektuell unredliches Zeugs mehr auf den Medien-Tisch gekommen. Man versteht ja, dass Herr Aust Geld verdienen möchte. Polit-Prostitution mag ja Umsätze bringen, und so ein Bonus von der US-Armee ist auch ganz schön, aber sich so billig verkaufen macht auf Dauer die Preise kaputt.