Einen Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaften will die »edition unseld«, ein neuer Zweig des Suhrkamp-Verlages, herstellen. Ein sinnvoller Schritt könnte man meinen: Die Philosophen könnten mit den Physikern reden, über das Tempo der Endlichkeit der Welt, vielleicht. Die Migrationsforscher mit den Ernährungswissenschaftlern darüber, wie man einer wachsenden Zahl Flüchtender ihre Heimat durch ausreichende Mengen Essen retten könnte. Vielleicht sogar die Pädagogen mit den Politikern, über friedliche Konfliktbereinigung in Schul- und Hinterhöfen. Satt dessen annonciert uns der Verlag »die Frage nach dem Für und Wider einer naturalistischen Weltsicht« . Auch der »Wandel unseres Weltgefühls« soll beschrieben werden. Das klingt wie »gefühlte Temperatur« und noch schlimmer bildet es ein Unverständnis gegenüber der Wissenschaft ab: Kaum etwas ist abstrakter, weiter von der Natur entfernt als eine chemische Formel oder die Berechnungen der Atomphysik, auch wenn sie auf dem beruhen, was gerne Natur genannt wird aber Materie heißen sollte. Vielleicht hätte der Verlag mit einer Arbeit über Welterkenntnis und Sprache beginnen sollen, gedacht als Hilfe für den eigenen Prospekt, aber auch für diesen oder jenen Autor in einer neuen Reihe, in der die vermeintliche Wissenschaftssprache gerne hoch trabt, sich also in einer Gangart bewegt, aus der man ganz schön tief fallen kann.

Sprachlich kann man nur wenig an Robert B. Laughlins Bändchen in der neuen Reihe aussetzen. Der Physik-Nobelpreisträger setzt sich »Mit dem Verbrechen der Vernunft« einem »Betrug der Wissenschaftsgesellschaft« auseinander, jenem weiten Feld der Monopolisierung von Patenten, der Verhinderung von Wissensweitergabe und der Raubkopie als eine Folge dieser Blockierung. Um im Sprachbild des Reitsports zu bleiben: Laughlin sieht die Hürden, findet sie auch ungerecht und unproduktiv hoch, überspringt sie aber lieber nicht. Also plaudert unser eigentlich gebildeter Autor so vor sich hin, erinnert an die ständige Urheberrechtsverletzung bei der Raubkopie von Musik und Filmen, an das Verbot Kenntnisse über den Bau von Atomwaffen weiterzugeben (die längst weitergegeben sind), weiß auch, dass sich aus frei erhältlichem Diesel und Stickstoffdünger prima Bomben bauen lassen und nur die Weitergabe des Mischungsverhältnis verboten ist. Um dann anzumerken, dass dreihundertmal so viel Menschen im Straßenverkehr sterben wie den Anschlägen am 11. September zum Opfer gefallen sind. Und nun referiert er, mit dem Blick auf die verschwiegenen Kenntnisse im kerntechnischen Bereich: »Wir haben im Interesse der nationalen Sicherheit dafür gesorgt, dass ein ganzer Zweig menschlichen Wissens verschwindet.«

Wer jetzt gedacht hätte, der Autor würde sich dem Skandal der Hybrid-Pflanzen widmen, jenem Pflanzen-Saatgut, das hohe Erträge sichert aber keine eigene Saat hervorbringt, also immer wieder neu gekauft werden muss, der irrt. Auch von der Anmeldungen von Patenten auf bereits seit Jahrhunderten vorhandenes Saatgut (wenn der mexikanische Bauer es ohne Lizenz zu zahlen weiter verwendet, begeht er ein Patentverbrechen) ist nicht die Rede. Von der Praxis, der meist amerikanischen Biokonzerne wie »Monsato«, sich das Wissen der Welt patentieren zu lassen, um es in Profit umzuwandeln, kaum ein Wort. Statt dessen kommt ein kleiner Ausflug in die US-Wirklichkeit, in der die Evolutionstheorie abgelehnt wird und der liebe Gott seinen mittelalterlichen Platz bei der Schöpfung der Welt zurück erhält. Das ist natürlich auch ein Verschwinden, Verweigern des Wissens. Aber dieses Zurück hinter Darwin gilt der gezielten gesellschaftlichen Verblödung und weniger der Privatisierung zur Erzielung von Profit.

Immer wenn man hofft, der Autor wende sich endlich, in seiner löbliche Absicht uns etwas Wichtiges zu sagen, einer Analyse zu, kommt es anders. So beginnt er im Kapitel »Spam, Spam, Spam« zwar mit der klaren Erkenntnis, dass es »Wegwerfwissen" gibt, ein Wissen das ausschließlich der Zerstreuung dient und kommt auch auf einen wesentlichen Punkt: »Das Wissen, das Menschen verstört, alarmiert und sie veranlasst, dessen Existenz zu leugnen, erweist sich als das einzige, das einen Wert besitzt.« Aber wenn er dann Grund hätte, mit der Zerstreungskultur, den TV-Spielen als Brotersatz, abzurechnen, und sogar den Satz riskiert »das Recht auf Wissen grundsätzlich unvereinbar mit den Gesetzen der Marktwirtschaft ist«, redet er die Hürde lieber klein. Es sei mit dem Wissen und dem Markt so wie mit dem Benzinpreis, wenn der niedrig sei, käme es zur Benzinverschwendung. Wären wir doch in einer Wissens-Schwemme, würden doch die »Preise« für Wissen fallen, die Hochschulgebühren wie die Buchpreise, die Kindergartengebühren wie die für Fremdsprachenkurse, wir lebten in einer Wissensflut, in der unterzutauchen eine gesellschaftliche Wohltat wäre.

Loughlin bleibt bei seiner Linie des Einerseits-Andererseits, einer Standpunkte-Schaukelei, die ihn durchaus zu gewissen Erkenntnissen befähigt, um dann, immer wenn es um Konsequenzen geht, Übelkeit zu verbreiten. So gelingt ihm ein imponierender Vergleich mit der Sklaverei, wenn er über die Verwerflichkeit der Wissensmonopolisierung handelt. Und er erinnert daran, dass die Sklaverei nicht mit Kompromissen hat abgemildert werden können, dass es erst der Radikalität eines Bürgerkriegs bedurfte, um sie abzuschaffen. Nach dem kühnen Ausflug ins Radikale bettelt er aber lieber, dass »spätere historische Ereignisse den Weg aus der Sackgasse eröffnen« mögen. Nur folgerichtig verlegt er so die Schluss-Szene seines Buches und die Lösung der Probleme auf den Mond. Dorthin phantasiert er eine »patentfrei Zone« in der junge Leute dem wilden, unlizenzierten Wissenserwerb frönen und »wie die Irren geistiges Eigentum« stehlen. Ach du liebes Herrgöttchen, die Hacker von heute sind ganz sicher nicht hinter dem Mond und ob sich die Völker noch lange von den USA und ihrem Patentkrieg hinter den selben führen lassen ist fraglich. Unzweifelhaft ist die freundliche Absicht mit der Suhrkamp eine neue Reihe auflegt. Leider scheint sie eher mondsüchtig zu sein, denn streitbar. Auch wenn gern von schlafwandlerischer Sicherheit geredet wird, landen Mondsüchtige doch, spätestens beim Erwachen, an Orten, die sie nicht angesteuert haben und befinden sich auch in Zuständen, die sie nicht wünschen. Soweit zum »Wandel unsere Weltgefühls«.

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