Ein Weltbestseller ist das Buch »Das Parfum« von Patrick Süskind, der erfolgreichste Roman deutscher Sprache nach Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues«. Ein Weltbestseller, dachte sich der Film-Produzent Bernd Eichinger, wenn ich den Stoff bekäme und ihn mit Weltstars besetzen würde, dann könnte ich einen zweiten, einen Kino-Welt-Seller landen, besser bekannt als »Blockbuster« (was übrigens nichts anderes als Luftmine bedeutet, jene Minen, die ganze Blöcke in die Luft sprengen konnten).
Eichinger bekam Dustin Hoffman, der den Parfumeur Baldini, den Ausbilder des jungen, geruchsbesessenen Grenouille (Ben Whishaw) spielt. Er bekam Alan Rickman (bekannt aus »Robin Hood«, »Harry Potter« und »Stirb Langsam«), der den Vater eines jener Mädchen darstellt, die vom Parfumeur-Gehilfen Grenouille so leidenschaftlich verfolgt und destilliert werden. Eichinger bekam Corina Harfouch, Jessica Schwarz und Rachel Hurd-Wood, die als letzte, kostbarste Trophäe des unseligen Grenouille auftritt, des hauptdarstellenden Parfumeur, der das ultimative Parfum herstellen will und dazu einen erheblichen Jungfrauenverbrauch an den Tag legt.
Falls der hoffentlich geneigte Leser das Buch »Das Parfum« gelesen hat, kann er jetzt guten Gewissens aus der beginnenden Filmkritik aussteigen. Denn Tom Tykwer, der Regisseur, hält sich streng an die Vorlage: Manchmal sind die Worte sogar identisch, vor allem, wenn Otto Sander als Erzähler aus dem Buch vorliest. Und wer das Buch nicht gelesen hat, der könnte jetzt auch aussteigen, denn das Buch ist intensiver als der Film, wenn der Leser also das Buch läse, könnte er auf den Film problemlos verzichten.
Ach, werden Sie sagen, jetzt kommt er uns mit dieser alten Leier, Bücher seien immer besser als die Filme, auf denen sie fußen, es gäbe keine guten Literaturverfilmungen und überhaupt. Bei allem Respekt: Sie irren. Es gibt, selten genug, gute Literaturverfilmungen und mit Leiern wagte ich Sie niemals zu belästigen. Wenn Sie also meinem guten Rat aus dem vorherigen Absatz nicht gefolgt sind, erkläre ich in den folgenden Zeilen, dass der Film nicht funktionieren kann und auch warum, bitteschön.
Ein Geruch gibt kein Bild. Während Gefühle, die ja auch eher gasförmig sind, jederzeit in Mimik, Haltung und Ton, also Schauspielerei umzusetzen sind, viele Bilder, sogar laufende abgeben, während unsichtbare Gedanken, spirituelles Zeug, umgesetzt in Taten, Filme aller Art möglich machen, ist der Geruch nicht darstellbar. Gut, ein Furz erklärt sich noch durch eine verzogenes Gesicht, vielleicht lässt sich sogar ein Gericht, fein mit Rosmarin, Knoblauch, ein wenig Oregano und kleinen Orangenstückchen gewürzt, in den Gesichtern der essenden Schauspieler widerspiegeln. Aber wie Stein riecht, wie Erde dampft, wenn der Regen auf sie fällt, der Geruch seiner Liebsten, der Schulraum von damals, dieses unsägliche und für immer mit einer Jugend verbundene Gemisch aus mehr oder minder gewaschenen Kindern, Kreide, gewachstem Linoleum und der ausgeschwitzten Sehnsucht nach der Pausenklingel, das alles ist nicht in Bilder umzusetzen.
Warum geht es denn im Buch, immerhin15 Millionen verkaufte Exemplare, haben sich die Leser alle geirrt, behauptet der Rezensent in seinem schwer erträglichen Wahn nur er wisse mal wieder was, aber alle anderen nix? Es geht im Buch, weil wir im Kopf eine Geruchsfestplatte mit uns herumtragen, weil dort Millionen Gerüche abgespeichert sind, die, ebenso erinnert wie wandelbar, Assoziationen und Sätze hervorrufen, weil wir so etwas sagen können wie: Dieses Parfum riecht »wie« und dann jeder etwas anderes über das selbe Parfum erzählt, weil wir beim Lesen die unsichtbaren Gerüche imaginieren. Für Gestank ist der Film zu eindimensional, dieses flache Ding, das nur mit großer Anstrengung und Kunst eine Dreidimensionalität vorgibt.
Es tut mir sehr leid: Eigentlich geht es im Buch auch nicht. Könnten sich bitte mal von den 15 Millionen jene melden, die das Buch zum zweiten Mal gelesen haben? Aha, keine Hundert. Aber das Buch ist doch spannend, ich zum Beispiel konnte es nicht aus der Hand legen . Da wächst dieses arme Kind ohne Eigengeruch auf, ohne Ego, man kann sie nie riechen, die bedauernswerte Unperson. Aber deren Fähigkeit, alle Gerüche dieser Erde blitzartig und auf weite Entfernung zu erkennen, machen sie zum begnadeten Parfumeur der nur ein Ziel hat: Ein Parfum ohnegleichen herzustellen, eins das alle dazu bringen soll ihn zu lieben, eins, das seine Nichtexistenz zum endgültigen Schimmern bringt. Da wollte ich wissen, wie das weiter geht, wie das ausgeht. Und als er dann die ersten 10 Jungfrauen der Enfleurage unterzieht, die ein wenig nach Deflorage klingt aber nie geschieht, da wollte ich wissen, wie es zu Ende geht und dann geht es zu Ende.
Man liest das Parfum kein zweites Mal, weil man sich nicht wiedererkennt. So ist der Leser, er will sich in einer Figur, in einem Gedanken, einer Idee wiederfinden. Findet er sich, und sei der Fund noch so klein, dann findet er auch den Punkt der Auseinandersetzung. Aber eine Karriere vom Geruchslosen zum himmlisch Duftenden, die ist, so spannend und intelligent Süskind auch geschrieben und konstruiert hat, nicht nachvollziehbar. Trotzdem wird der Film »Parfum«, wenn er im September in die Kinos kommt, diverse Blöcke sprengen, an der Kasse reüssieren, denn wer hört schon auf Kritiker?