Endlich einer, der Wirklichkeit auch außerhalb des eigenen, des inneren, seelenvollen Ichs wahrnehmen kann. Sogar einer, der sich ins Berufsleben wagt. Wir werden doch nicht die Wiederauflage der Geschichten aus der Arbeitswelt bekommen, höre ich die Ersten sich ängstigen, Geschichten, in denen die Bosse böse und die Arbeiter arbeitsam sind. Nein, Konstantin Richter geht mit seinem Roman "Bettermann" in die Finanzwelt, genauer in eines dieser Finanzblätter, deren Sitz in den USA, deren Herz an der Börse und deren Arsch überall dort ist, wo Anzeigen zu holen sind. Auch deshalb haben wir es wohl mit einem better man zu tun, auch wenn die Figur ein Deutscher ist, gibt uns der Name doch ein nettes, kleines Omen.
Doch die zentrale Person des Romans ist nicht Bettermann. Es ist Alex, einer, der mal Literatur studiert hat, der eine sonderbar altmodische Nähe zu Adalbert Stifter hatte und den es, wir alle müssen Geld verdienen, in die internationale Finanznachrichtenagentur verschlägt. Da lernt er so spannenden Begriffe wie Human Resources, Shareholder-Value und hört vom Ende der Deutschland AG, jener sagenumwobenen Vorzeit, in der man noch nett zueinander gewesen sein soll: Der Arbeitgeber zu seinen Arbeitnehmern, die Unternehmer untereinander und über allem thronte, wie eine große, freundliche Glucke, die Deutsche Bank und brütete Kreditlinien aus. Angeblich.
Das Abenteuer Kapitalismus lässt sich für Alex gut an: Er glaubt an den freien Wettbewerb, arbeitet gerne ein paar Stunden mehr und wohnt in Frankfurt ohne dort zu leben. Kein Haus, keine Frau, keine Yacht, aber gute Kumpels in der Agentur. Leute wie er: Landsknechte der Finanzwelt, Nachrichtensauger aus dem eigenen Daumen, gefüttert mit Brosamen, die einem meist solche zustecken, die unter dem Tisch was lancieren wollen. Es ist nur folgerichtig, dass Alex sich an die ultimative Story macht, die Geschichte über ein mittleres Anwaltsunternehmen, das mit einer großen, internationalen Kanzlei fusionieren wird. Dass der Seniorpartner, Bettermann eben, der in Alex Jugend eine Rolle spielte, keine Lust zur Fusion hat, dass er wahrscheinlich sogar ausgebootet werden wird, nicht mehr mitkommt mit den neuen Zeiten, das ist der Kern einer Reportage, die Karriere verspricht.
Jetzt könnte es losgehen, jetzt wären die ultimativen Schweinereien des "Kulturwandels", wie die Fusionierer das nennen, angesagt. Wie die Großen die Kleinen schlucken, wie rationalisiert wird und wie dieses oder jenes Leben dabei zerbricht, jetzt wäre das kapitalistische Drama möglich. Aber es kommt nicht. Was kommt, ist die Retrospektive einer Familiengeschichte, in der Betterman, Alex und seine Eltern ein Rolle spielen, damals, als sie alle noch in Blankenese wohnten und die Welt noch in Ordnung zu sein schien. Um das zu illustrieren, wird Alex mit einem sozialdemokratischen Vater ausgestattet, der so blutleer ist, dass Kurt Beck sich dagegen wie ein Revoluzzer ausnimmt. Für den Autor scheint diese Figur aber ein echtes Kontrastprogramm zum echten Kapitalismus zu sein und da guckt dann doch wieder der Kurt Beck aus dem Knopfloch, der behauptet, er sei das Kontrastprogramm zu Angela Merkel und jeder weiß, das stimmt nicht. So, lieber Konstantin Richter, so wird das nix mit dem Drama, dazu sind einfach die handelnden Personen zu schwach.
Schon wenn Alex sich erinnert, dass er als Heranwachsender immer Schubert und Schumann gehört hat, nur hier und da mal, auf Feten Popsongs wie "ich will Spaß" oder "99 Luftballons" konsumiert, dann weiß der Leser: Der trug damals einen Mittelscheitel, solche bringen es höchsten bis zur zweiten Reihe der jeweiligen Struktur, solche sind selbst im Scheitern noch angepasst und langweilig. So kann es dann nicht ausbleiben, dass der Roman unrettbar auf ein Happy-End zusteuert, das dem Kleinbürgerkind Alex eine prima Aussicht auf eine Grossbürgertochter sichert, die in Berlin lebt. Dort trifft Alex dann auf Leute die "Projekte" machen, die "keine feste Stelle haben". "Viele haben die tollsten Begabungen, in Städten wir Frankfurt könnten sie viel Geld verdienen". Das also soll der Ausstieg sein, die Fahrkarte nach Berlin, das soll die Revolte sein, "wo sich alle Nachbarn zusammentun und ihre Hinterhöfe zusammenlegen". Ach du liebes Hergöttchen, das wird die Vorstandsetagen aber das Fürchten lehren und die Welt verändern.
"Ist das nicht dekadent, auf Kosten der Wirtschaft zu leben?" fragt Alex die Braut in spe, weil die nur noch "Projekte" macht und man glaubt den gespitzten Mund zu sehen wenn er dökadönt sagt und nicht weiß was das bedeutet und vor allem nicht, dass niemand mit solchen Projekten auf Kosten der Wirtschaft lebt. Vielleicht sollte der Autor doch erstmal einen Bilanzbuchhalterkurs machen und dann den an der Volkshochschule "Wie werde ich Literrat" und dann den Mittelscheitel auflösen und dann, ganz vielleicht, noch mal mit dem Schreiben beginnen. Dabei hatte er so vielversprechend angefangen.