Filmkritiker sind eine hartgesottene Meute: Die verlieren lieber einen guten Freund als eine gute Pointe. Sie gucken sich bei Festivals im Tagesschnitt 3,2 Filme an. Der Schnitt ist so krumm, weil sie aus jedem zweiten Film vorher rausgehen. Die klatschen nicht bei Pressevorführungen. Selbst wenn sie den Film gut finden. Denn sie stehen über den Dingen. Diese seltene, zynische Spezies habe ich weinen hören. Im dunklen Kino haben sie laut geschnieft und geschneuzt. Einige haben es nachher sogar zugegeben. Andere hatten nur rote, verquollene Augen. Dieses Wunder fand anlässlich des Films "Kirschblüten" von Doris Dörrie statt. Und ich war dabei.

In der süddeutschen Provinz sind sie alt geworden, die Trudi (Hannelore Elsner) und der Rudi (Elmar Wepper). Grau war der Rudi eigentlich immer schon: Jeden Tag zum Büro, jeden Tag die zwei Flaschen Bier vor dem Fernseher, jeden Tag sich von der Frau bedienen lassen. Die Trudi muss ihn lieben. Täte sie das nicht, hätte sie ihn schon lange umbringen müssen, oder sich. Weil der Rudi nur der Mann ist und sie die Stärkere, erzählen die Ärzte es ihr und nicht ihm: Rudi wird sterben. Bald. Und Trudi will mit ihm noch einmal die Kinder sehen und ein Stückchen von der Welt und dann, dann will sie es ihm sagen. Am liebsten führe sie mit ihm nach Japan. Aber was soll er da, der Rudi, fremd und ohne den Halt der täglichen Routine.

Im Gesicht der Elsner spiegelt sich das Wissen um den Tod: Jede noch so harmlose Bemerkung, die an das Ende rühren könnte, führt zu kleinen und kleinsten Verwerfungen in diesem ein wenig müde gewordenen Gesicht eines guten Menschen. Dem Lieblingssohn, der in Japan lebt, im Land ihrer Sehnsucht, will sie es einmal sagen, dass er stirbt, der Vater. Aber der Anrufbeantworter vernimmt kein Wort. Der andere Sohn, die Tochter, die Enkelkinder, sie leben in Berlin und empfinden den Besuch der beiden als jene Last, die alt gewordene Eltern nicht selten für ihre Kinder zu sein scheinen. Das Schweigen der Generationen hallt laut im Film der Dörrie.

Anders als der Beginn des Films anfänglich suggeriert, stirbt die Frau vor dem Mann. "Plötzlich und unerwartet" heißt es immer in den Todesanzeigen. Doris Dörrie zeigt uns was das bedeutet, jene Fassungslosigkeit, die so gern in Verdrängung mündet: "Das Leben geht weiter." Nicht für Rudi. Der packt sich und die Kleider der toten Frau, um in deren Sehnsuchtsland zu fahren. Der Lieblingssohn hätte auch gern, dass das Leben weitergeht, aber möglichst ohne den Vater, der bei ihm ohne Vorwarnung aufkreuzt. Was soll er mit dem? Er muss doch ins Büro, nichts sonst. So, als wäre er der eigene Vater, so als wäre das erschreckend fremde Tokio die kleine, vertraute Provinz.

Merkwürdig ist er geworden, der Rudi. Zieht die Klamotten seiner Frau an, redet mit ihr, `zeigt´ ihr das Land. Es sind köstliche Momente, wenn Elmar Wepper das Land nicht und gar nicht versteht. Und es sind kostbare Augenblicke, wenn er versucht, der toten Frau den Wunsch zu erfüllen, den er der lebenden versagt hatte. Auf dem Weg die Trudi zu verstehen und vielleicht so gar sich selbst, trifft er auf die junge Butho-Tänzerin Yu (Aya Irizuki). Jetzt, denkst Du, jetzt fängt der Kitsch an: Ringsum Kirschblüten, die Tänzerin, die Rudi im konkreten und auch sprichwörtlichen Sinne an die Hand nimmt, die exotische Situation, das alles lässt Schlimmes ahnen. Bisher war der Film so präzise und poetisch zugleich, jetzt kündigt uns die Dörrie ein Happy-End an und es ist mal gerade der halbe Film rum.

Die skurrile Yu ist nicht für ein landläufig glückliches Ende geeignet und der Mann, um dessen nahen Tod der Zuschauer in jedem Moment weiß, auch nicht. Sie eignen sich, sorgsam von der Regisseurin eingestellt und von den beiden so unterschiedlichen Schauspielern kongenial gespielt, für eine jener zarten, klugen Geschichten, die fast nie passieren, nach denen man sich aber immer sehnt. Die zwei fahren zum Fudji, dem heiligen Berg Japans. Und erneut widersteht die Dörrie der Klischee-Falle. Sie lässt die beiden Tage auf den Fudji warten. Vom Nebel verhangen gibt er sich nicht preis. Er sei scheu, sagt Yu.

Was Doris Dörrie erzählt, ist eine Geschichte über das Leben und dessen Ende. Darüber wie Menschen miteinander umgehen oder eben nicht. Und das macht sie völlig unprätentiös, scheinbar einfach, leicht und ohne jedes Pathos. Auch wenn der Film auf einem bayerischen Friedhof endet, ist er doch heiter in seinen kleinen Weisheiten, seiner Kenntnis über die Normalität, die zuweilen recht pervers ist. Zugleich ist er so traurig, wie nur ein Film sein kann. Sie werden ihn bald im Kino sehen können. Nehmen Sie Taschentücher mit. Und ihre(n) Liebste(n).