Jetzt kommt sie bald raus, die 100. Programmbeschwerde der ARD-Beobachtungsstelle Bräutigam & Klinkhammer. Noch ist kein Pulitzerpreis in Sicht, auch der Medien-Nobelpreis wurde bisher nicht angekündigt. Aber jede Menge ARD-Zuschauer preisen die beiden Autoren. Weil sie für sauberen Journalismus sind. Weil sich die beiden – die selbst lange beim NDR, dem Haus-Sender der TAGESSCHAU gearbeitet haben – ernsthaft um journalistische Standards kümmern: Um jenes Salz, ohne das die Nachrichtensuppe sauer aufstößt: Fakten, Objektivität und Ehrlichkeit.

Zudem sorgen sich Bräutigam & Klinkhammer um die Demokratie. Um jenes verwitterte Wesen, dass sich im Keller der TAGESSCHAU aufhält und mit dem düsteren Ruf: „Mehr Nachricht!“ manchmal zu hören ist ohne erhört zu werden. Programmbeschwerden sind demokratische Instrumente der Zuschauer-Mitbestimmung, Wenn man Instrumente nie nutzt, dann rosten sie. Also beschweren sich die beiden. Auch im Namen von Millionen Medienkonsumenten, die ihrer Kritik zustimmen. Wie man aus Umfragen ablesen kann. Deshalb handeln Bräutigam & Klinkhammer nach dem Grundsatz: Wer sich beschwert macht nichts verkehrt.

WIR BOHREN DICKE BRETTER

„Werden eure Programmbeschwerden vom NDR überhaupt noch gelesen? Oder landen sie gleich im Papierkorb? Liebe Beschwerdeführer Klinkhammer und Bräutigam, werden wir gefragt, hegt ihr tatsächlich noch Hoffnung, dass eure Proteste etwas bewirken?“
Auch in den Kommentarspalten der Rationalgalerie tauchen dergleichen Fragen regelmäßig auf. Manchmal – hocherfreulich! – kombiniert mit der Aufforderung, auf jeden Fall weiter zu bohren. Genau: die bekannten dicken Bretter.
Wir adressieren den Intendanten des NDR, Lutz Marmor. Manchmal zusätzlich Rundfunkrat und Verwaltungsrat des NDR. Sie alle sind, das gebietet der Staatsvertrag über den NDR, verpflichtet, unsere Post zu lesen und Stellung zu nehmen. Die Fähigkeit, zu verstehen und zu berücksichtigen, ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Deshalb kriegen wir unverständige Stellungnahmen.
Ansonsten passierte nichts – wenn wir uns damit abspeisen ließen. Das kommt nicht infrage.
Wir setzen bei der Chefredaktion ARD-aktuell nur äußerst unauffällige Portionen journalistisches Ethos, fachliches Können und Empathiefähigkeit voraus. Der NDR-Leitung und den Rundfunkräten glauben wir nicht, dass sie sich den demokratienotwendigen Werten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verpflichtet fühlen. Rädchen im wichtigsten politischen Herrschaftsinstrument Rundfunk sind diese kaum 70  Figuren. Pardon, Qualitätsjournalisten und ihre Vorturner in der Intendanz und in den Aufsichtsgremien. Sie allesamt und ihre Ansichten sind uns schnurz.
Konservativ geschätzt erreichen wir mit der Veröffentlichung unseren Beschwerden pro Monat mehr als eine Million Menschen. Diese Leser aufmerksam zu machen, ihre Nachdenklichkeit anzusprechen und ihr kritisches Bewusstsein als eine wachsende Gegenöffentlichkeit zu unterstützen, das erscheint uns wünschenswert. Und lohnend. 43% der Befragten misstrauen den TV-Nachrichten, weist eine neuere Studie aus. Das ist steigerungsfähig.
Der Rundfunkrat sollte von Gesetzes wegen die Erfüllung des Programmauftrags und die Einhaltung der Programmrichtlinien in den Sendungen der ARD-aktuell überwachen. Eine Beschwerde wegen Defiziten und Fehlern sollte er eigentlich aus eigener Kompetenz beraten und  bescheiden. Tut er aber nicht. Er gibt erst mal dem Intendanten Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Der delegiert das an die Chefredaktion ARD-aktuell.
Wenn man nach dem Verzehr einer verdächtigen Semmel zunächst den Bäcker früge, ob sie in Ordnung war, wäre das nicht weniger beknackt. Wer so gefragt wird, stellt sich natürlich ein Unschuldszeugnis aus.
Beschwerdeführer müssen solche chefredaktionellen Persilscheine ausdrücklich zurückweisen, erst dann kommt der Rundfunkrat nicht mehr umhin, selbst tätig zu werden. In dieser bleiernen Zeit ist jede öffentliche Widerrede notwendig. Regelmäßig geruht der Rundfunkrat allerdings, nur abzunicken, was das NDR-Management ihm zur eigenen Entlastung reinschob. Darüber bekommt der Beschwerdeführer nach einem halben Jahr oder noch später einen Bescheid. Ein Begründung, warum die Räte auf Spätkonfirmand machten, bekommt er nicht.
Und dann? Ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Von da oben hat man aber klare Sicht darauf, wie versaut unser öffentlich-rechtliches Informationswesen mittlerweile ist.
An die hundert Ablehnungsbescheide haben wird auf unsere Beschwerden erhalten. Nicht eine einzige war nachvollziehbar begründet, die meisten ganz frei von Argumenten.
Den nächsten derartigen Brief der Rundfunkratsvorsitzenden Thümler (FDP) werden wir beantworten, wie Johannes Brahms einst einem Kritiker herausgab: „Werte Frau Thümler, ich sitze hier im kleinsten Zimmer meiner Wohnung. Noch habe ich Ihr Schreiben vor mir. Gleich werde ich es hinter mir haben.“