Schon seit Monaten kämpfen die unermüdlichen Kollegen Bräutigam und Klinkhammer um journalistische Sorgfaltspflicht und die Einhaltung des gesetzlichen Sendeauftrags der ARD. Routiniert bekommen sie belanglos Antworten des Senders auf ihre Kritik, wahrscheinlich hat man schon ein Formblatt entwickelt. Doch mitten in den bürokratischen Ablehnungsschreiben taucht dann der Brief eines Rundfunkrates auf, der eigentlich das „im Sinne des vom Gesetzgeber erdachten Vielfaltssicherungskonzepts die Offenheit des Zugangs zum Programm der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten für verschiedene gesellschaftlich relevante Gruppen garantieren“ soll. Eigentlich. Erstmal versucht der Rundfunkrat, die Veröffentlichung seines Briefes an eine Zuschauerin mit „juristischen Konsequenzen“ zu verhindern. Jetzt wird er doch in Teilen veröffentlicht. Von eben Bräutigam und Klinkhammer. Sie schreiben:

Eine Frau aus dem Publikum – sie verortet sich selbst in der bürgerlichen Mitte – fand unsere Beschwerden über die zahllosen Mängel und propagandistischen Entgleisungen in den TV-Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedenkenswert. Sie beließ es nicht beim Lesen, sie schrieb an den NDR-Rundfunkrat. Suchte sich als persönlichen Adressaten den vom DGB ins Gremium delegierten Uwe Grund aus. Eine gute Wahl, sollte man annehmen: "kampferprobt,  gesellschaftskritisch, mißtrauisch gegenüber politischen Eliten, unverbogen, kurz: ein Block in der Brandung widerstreitender Interessen.
Oh weh.

„Liebe Frau ...,
schrieb ihr der liebe Rundfunkrat Uwe Grund,
ich stimme Ihnen zu, dass die Medien insgesamt in einer Legitimationskrise sind.“
So, das wäre schon mal geschafft! Standardrepertoire eines politischen Funktionärs: Zunächst mit einem schönen Allgemeinplätzchen das kritische Publikum sedieren. Dabei aber Obacht geben, dass das Sedativ nicht gar zu homöopathisch ausfällt. Der Gedanke ‚Die einen Medien haben mehr, die anderen weniger Probleme mit ihrer Legitimation’ –  darf gar nicht erst aufkommen. Es könnte sonst ja jemand darauf verfallen, die Tagesschau mit sputnik-news oder der RATIONALGALERIE abzugleichen und auf eine Krise bei ARD-aktuell zu schließen.
Und wie es so typisch ist: Für einen gewerkschaftlichen Alibi-Vertreter in einflussreichen Gremien hat Vorrang erst einmal die Darstellung der eigenen Kompetenz:
„Meine Erfahrung ist, dass aktive Medienbeeinflussung in Zeiten von Krieg und Terrorismus zum Instrument der Auseinandersetzung werden.“
Gelungen. Das trifft. Ins eigene Auge.
Lösen wir den Blick vom verkorksten Deutsch. Uwe Grund zeigt seiner Adressatin seine gedankliche Größe: Die Medien sind das Opfer. Ihre aktive Beeinflussung ist ein „Instrument der Auseinandersetzung.“ Man ahnt, der Rundfunkrat Grund hat Wichtiges mitzuteilen, man versteht nur noch nicht ganz, was. Wahrlich schlimme „Zeiten von Krieg und Terrorismus“.
„Das ist hoch brisant, weil die Arbeit der Journalisten immer stärker unter Beeinflussungsversuchen steht.“
Das kommt dabei heraus, wenn Rundfunkrat Grund ein Problem unter die Lupe nimmt und nicht merkt, dass sie das Fernglas ist und er von der falschen Seite durchblickt. So merkt er nicht, dass das Publikum zunehmend von Politikern und Journalisten propagandistisch indoktriniert wird, sondern sieht die Arbeit der Journalisten bedroht, fungiert freundlicherweise auch noch für"Reporter ohne Grenzen":
„Vor wenigen Jahren noch unvorstellbar, heute traurige Realität: Journalisten und ihre Familien werden bedroht und auch - wie gestern in Leipzig angegriffen oder davor in Paris - sogar getötet.“
Jeden Tag wird in Hamburg-Lokstedt ein Redakteur von ARD-aktuell massakriert. Deshalb muss sich der Beschützer des bedrohten Journalismus, Uwe Grund, vor den armen Nachrichtenredakteuren in seiner ARD-aktuell-Zentrale groß aufbauen. Und lichtvolle Erkenntnisse weitergeben:
„Vertrauen ist eine sensible Haltung, schwer zu gewinnen und leicht zu verlieren.“
Das ist – edel. Und schlicht. Vertrauen. Eine Haltung als solche.
„Ich will Ihnen nur versichern, dass im ÖR tausende hoch engagierte Menschen sich täglich dafür professionell einsetzen durch aktuelle und objektive Berichterstattung -guten Journalismus eben- Glaubwürdigkeit zu erhalten oder wo nötig neu zu schaffen.“
Auch mit diesen Worten zeigt unser Gewerkschafter Kompetenz: Fast genauso klingen die PR-Anweisungen im NDR, dem "Besten am Norden"
Und welch ein Schicksal:
„Dass dabei -wie belegt und eingeräumt- auch Fehler gemacht werden, scheint mir allerdings unvermeidlich.“
 
Mag sein, dass Dr. Gniffke im Rundfunkrat regelmäßig zur Beichte gehen muss, wenn er von uns mit journalistischen Mogelpackungen erwischt wurde. Öffentlich bekannt wurden die Beichten bisher aber nicht. Wenn es sie denn tatsächlich gibt, sie sind der Öffentlichkeit verwehrt, bleiben Geheime Kommandosache, wie in dunklen autoritären Zeiten.
 
„Abschließend noch der Hinweis: Einen Vergleich der Qualität journalistischer Arbeit mit den privaten Rundfunkanstalten in Deutschland, Europa oder gar in der Welt braucht der ÖR hierzulande nicht zu scheuen.“
 
Wie ehrlich der Uwe Grund doch ist. Nicht unter das kommerzielle Niveau  sinken, das sagt er damit indizenter – ein wahrlich ehrgeiziges Ziel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Das hatte seine Adressatin allerdings längst gemerkt: 
Sehr geehrter Herr Grund,
vielen Dank für eine Antwort, sie lässt mich allerdings unzufrieden zurück. Es bleibt mein Misstrauen in Politik und Medien und das aus der bürgerlichen Mitte heraus, ich bin nicht alleine, ich kenne in meinem Umfeld niemand der das anders sieht. Aber halten Sie sich nur weiter an Ihre diversen Untersuchungen, die Ihnen Glaubwürdigkeit suggerieren. Ich mache mir weiter Sorgen um unsere Demokratie und unseren sozialen Frieden.“
(...)
Epilog:
Uns geht es nicht darum aufzuzeigen, warum wir bei Uwe Grund das sensible Geschick im Umgang mit Leserbriefen, die Logik und das völlige Beherrschen der deutschen Sprache vermissen, sondern dass er ein Rundfunkrat ist, der offenkundig seine Aufgabe als Vertreter einer gesellschaftlich relevanten Gruppe mißversteht und nicht begreift, dass er im Dienste der Öffentlichkeit die Programme des NDR kritisch zu begleiten hat. Er schwingt sich ganz im Gegenteil zum Verteidiger derer auf, die er auf mangelhafte Arbeit hinzuweisen hätte. Er identifiziert sich mit jenen, die er zu kritisieren hätte. Einfachen Gewerkschaftmitgliedern ist diese Haltung ihres Oberfunktionärs kaum zu vermitteln. Uwe Grund wird sich trösten: Es ist es kein neues Phänomen mit Gewerkschaftern in Aufsichtsgremien.