Ein Land, das einen eigenen Scharia-Gerichtshof hat, ein Gericht, das nach irgendeiner Sorte Islam urteilt. Ein Land, das Gotteslästerung mit dem Tod bedroht. Ein Land, in dem die Frauen kaum Rechte haben. Und hätten sie welche, sie dürften sie nicht ausüben. Ein Land mit einem Diktator an der Spitze, mit Langstreckenraketen ausgerüstet, die jede Gegend im Nahen Osten erreichen können, natürlich auch Israel. Ein Staat, der über Atomwaffen verfügt, der den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet hat und in dem Al Quaida und Taliban fraglos eine solide Basis haben. Das Land heißt Pakistan und taucht in unseren Medien kaum auf.

Nur manchmal darf Ruprecht Polenz, der einstige Sieben-Monats-Generalsekretär der CDU, noch auf ein Medientrittbrett steigen. Und wenn dann eines vorbeikommt, dann springt der Chef des Auswärtigen Ausschusses aber drauf, dass die ganze Bahn wackelt: »Die Frage einer gemeinsamen Abwehr gehört auf die Tagesordnung der Nato. Wir sollten ein Interesse haben, gemeinsam einen Schutzschild zu entwickeln«. Sagt Polenz und meint den Iran und sein Atomprogramm und die amerikanischen Anti-Raketen-Raketen, die er nicht allein den Polen und Tschechen überlassen will. Genauer: Polenz meint die deutsche Mediendebatte über das iranische Atomprogramm, eine Debatte, die durchaus dem intellektuellen Niveau des Ruprecht für Öffentlichkeitsarbeit bei der Industrie- und Handelskammer der bedeutenden Stadt Münster entspricht. Hier muss der Ball nicht flach gehalten werden, Köpfe sind nicht zu treffen.

Am Anfang war die USA. Als der Schah Reza Pahlevi, damals ein so bekannter Diktator wie der jetzige von Pakistan, zum dem Schluss kam, dass Erdöl zu kostbar sei um es zu verbrennen, freuten sich die USA auf ein gutes Geschäft: Sie lieferten Forschungsreaktoren und, nachdem Außenminister Kissinger ein Abkommen zur Nuklear-Technologie unterzeichnete, konnte dem Iran Atomtechnik für sechs Milliarden Dollar verkauft werden. Mitte der siebziger Jahre wurde dem Schah-Staat sogar eine Anlage zur Extraktion von Plutonium zum Kauf angeboten, eine prima Ausgangsbasis für die schmutzige Bombe.

Im Zuge der von den USA eingeleiteten Nuklearisierung des Iran unterzeichnen die Iranis dann auch den Atomwaffensperrvertrag. Der Sperrvertrag enthält, wenn die angestellten deutschen Gebetsmühlen in den Redaktionen ihn doch ein einziges mal lesen würden, den Anspruch (!) der Unterzeichner dieses Abkommens auf Unterstützung bei der Urananreicherung! Die Anreicherung ist sowohl zur industriellen Nutzung der Atomenergie notwendig als auch eine mögliche Voraussetzung für eine mögliche Atombombe. Eine Möglichkeit, die bei Lesern und Hörern deutscher Medien längst den Charakter einer Tatsache angenommen hat, die wahrscheinliche Vernichtung Israels eingeschlossen (Der Chefredakteur: Ja existiert Tel Aviv denn noch? Warum sagt mir das denn keiner?). Und wenn wir nicht bald diese tollen Raketen aus den USA bekommen, sagt Polenz und die versammelten Redaktionen repetieren, dann sind wir so gut wie tot.

So gut wie tot war das vom Iran im Oktober 2003 eingefrorene Programm zur Urananreicherung. Bis dann, auf Druck der USA, die Vereinten Nationen eingeschaltet wurden. Man mag in Münster oder Washington kleineren Nationen kein Ego zubilligen. Das in Washington ist ja auch so groß, dass die Deutschen kein eigenes brauchen. Tatsächlich können Nationen, insbesondere wenn man sie ständig und pauschal als Schurken qualifiziert, sauer werden, wenn man ihnen ihre verbrieften Rechte, in diesem Fall die Urananreicherung, bei Androhung irgendwelcher Strafen untersagt. Prompt nahmen die Iranis ihr auf Eis liegendes Programm wieder auf.

Aber das Jahr 2003 (Mann, sagt der Chefredakteur, das liegt aber lange zurück. Und wir müssen doch täglich was Neues bringen) hält noch andere Überraschungen bereit: Wie die »Washington Post« Anfang diesen Jahres berichtete, gab es in 2003 einen ernsthaften über die Schweizer Botschaft in Teheran vermittelten Versuch der iranischen Seite, das Problem zu lösen. Die bedauernswerte Frau Rice, so jung und schon dement, und ihr verwirrter Vize-Außenminister Armitage können sich entweder an nichts erinnern (Rice) oder die iranische Position nicht von der schweizerischen unterscheiden (Armitage). Dass bei solch schweren Ausfallerscheinungen der letzten Supermacht die EU in die Bresche springt, versteht sich. Gemeinsam mit den Russen bot die europäische Staatengemeinschaft den Iranis Nukleartechnologie an, wenn sie nur auf die Anreicherung verzichten würden. Dieses großherzige Angebot wurde überall gesendet und gedruckt. Leider erzählte keiner, wann und zu welchen Kosten die Lieferung in den Iran gehen sollte. Deshalb haben Leser und Zuschauer davon genau so wenig erfahren wie die Führung in Teheran.

Was bleibt, ist Polenz: Wir bombardieren den Iran und verkaufen Pakistan ein Anti-Raketen-Raketen-System. Oder: Frau Merkel übernimmt den Nato-Vorsitz und unterzieht sich dem gleichen Gedächtnis-Training wie Frau Rice. Oder: Wir ziehen uns aus Afghanistan in Richtung Teheran zurück. Wer das für Kabarett hält, der hat die jüngste Meldung nicht mitbekommen: Die USA sabotieren das von ihr selbst veranlasste UN-Embargo gegen Nordkorea. Denn die nordkoreanische Waffenlieferung für Äthiopien, sagt die US-Regierung, dient dem Kampf gegen islamische Milizen. Wenn also ein Schurke einem Schurken Waffen liefert, um Schurken zu bekämpfen, dann ist das gut. Oder umgekehrt (Petra Gerster: Heißt es nun Haar- oder Atomspaltung? Immer muss ich alles in dreißig Sekunden rüberbringen! Ich glaube, es heißt Haaranreicherung).