Mal wieder hat der deutsche Polit-Kindergarten Freigang und die einschlägigen Medien rauschen wissend mit den Seite oder flimmern schlau mit ihren Zeilen. Es geht um die Türkei und deren Beitritt zur EU. Frau Merkel will die Gangart verschärfen und Herr Stoiber fordert "wirksame Konsequenzen". Was haben die Türken uns getan, oder besser was haben sie uns nicht getan? Sie wollen partout die Republik Zypern nicht anerkennen, hatten aber genau das, als Teil des Annäherungsprozesses an die EU versprochen. Also Wortbruch, also Täuschung, also Türken müssen draussen bleiben.

Das kurze Gedächtnis der politischen Klasse ist bekannt, die zeitgleiche Amnesie deutscher Medien ist nur schwer zu ertragen. Denn die Zypernfrage hat eine Vorgeschichte, man kann sie ohne Mühe in den jüngeren Archiven nachlesen. Vor der Aufnahme Zyperns in die EU gab es den so genannten Annan-Plan. Dieser kluge Plan des UN-Chefs sah vor, dass die griechischen und die türkischen Zyprioten über ihre Wiedervereinigung abstimmen. Immerhin ist die Insel seit Jahrzehnten geteilt und war immer wieder Anlass zu Streitigkeiten unter den NATO-Partnern Griechenland und Türkei.

Während die türkischen Zyprioten dem Annan-Plan mit einer passablen Mehrheit von 65 Prozent zustimmten, lehnten die Griechen den Plan mit 76 Prozent ihrer Stimmen ab. Nun hätte man glauben mögen, die EU würde das sonderbare und anachronistische Verhalten der griechischen Zyprioten zumindest mit Verachtung strafen. Immerhin war der Prozess der Aufnahme der Türkei in die EU bereits eingeleitet und selbst CSU-Abgeordnete konnten wissen, dass nur mit der Lösung oder auch notfalls der Ausklammerung der Zypernfrage, dieser Prozess zu einem produktiven Ende hätte kommen können. Aber die EU, inspiriert von den Gegnern der Türkei in ihren Reihen, nahm Zypern im Mai 2004 als immer noch faktisch geteiltes Land auf.

Unmittelbar nach der Aufnahme Zyperns in die EU konnte die Inselgriechen von den Segnungen der EU, ihren Fördergeldern und den Handelserleichterungen profitieren. Ausgerechnet die Türken im Norden der Insel, die bei der Abstimmung zur Wiedervereinigung ihren guten Willen deutlich unter Beweis gestellt hatten, wurden abgestraft. Zwar hatte sich die EU sofort nach dem Referendum für Handelserleichterungen auch für den Nordteil ausgesprochen, aber genau das nicht eingehalten. Bis heute ist der Norden der Insel wirtschaftlich isoliert, bis heute wird der gute Wille der dort lebenden Türken bestraft.

Unter den beschriebenen Bedingungen ist es der Türkei, aus einfach einsehbaren, innenpolitischen Gründen, kaum möglich, das EU-Mitglied Zypern durch Öffnung türkischer Handelsplätze wie Häfen und Flughafen, anzuerkennen. Der moderne türkische Staat, auch das ist in Geschichtsbüchern nachzulesen, trägt wenig Schuld an der Spaltung der Insel. Mindestens darf man die alte Kolonialmacht England und das temporär faschistisch regierte Griechenland ebenso, wenn nicht stärker, in die Verantwortung für die Teilung Zyperns in einen türkischen und einen griechischen Teil nehmen. Aber natürlich geht es nicht um Gerechtigkeit, es geht um Interessen. Und während man unisono den Türken ihre Interessen vorwirft, verschwimmen die Interessen der deutschen Ablehnungsfront hinter allgemeinem Geschwätz.

Es geht der Dame Merkel und dem Herrn Stoiber ausschließlich um Innenpolitik. Und während der türkische Staatspräsident für seine Postion einen gewissen Realismus in Anspruch nehmen darf, immerhin hat er gegenüber den türkischen Zyprioten eine nationale Verpflichtung, die auch und gerade von den Festlandstürken genau kontrolliert wird, haben CDU und CSU nur einen innenpolitisch Grund: Die Xenophobie eines Teils ihrer Wähler, eine Fremdenfeindlichkeit, die sich besonders gegen Türken richtet. Gerne wird am deutschen Stammtisch, dessen Mitglieder natürlich auch in der Regierung und den Redaktionen sitzen, über die "Rückständigkeit" der Türkei räsoniert. Dass sich Rückständigkeit auch an der Weltoffenheit eines Landes misst, scheint dort nur begrenzt bekannt zu sein.

Auch die beiden Gründe, die gerne parallel zur Ablehnung der Türkei zitiert werden, zeugen vom kurzen Verstand der hinter langen Vorträgen und Artikeln lauert. Zum einen ist die Türkei den so besonders christlichen Parteien zu islamisch. Zum anderen haben die türkischen Militärs im Lande zu viel zu sagen. Dass es die Militärs sind, die im Gefolge der laizistischen Staatsidee der Türkei einen Gegenpol zu ausgeprägt islamischen Tendenzen bilden, ist den schlauen Vertretern des Abendlandes offenkundig nicht beizubringen.

Die Türkei hat immer noch eine ganze Reihe von demokratischen Defiziten. Und wenn sie die nicht beseitigt, gibt es Gründe genug, sie nicht in die EU aufzunehmen. Aber das zur Zeit aufgeführte Zypern-Stück erinnert doch arg an jene Schmierentheater, in denen die Intendanz besoffen, die Regie debil und die Schauspieler allesamt Knatterchargen sind.