Mit einer scheinbar eleganten Anglizyste beginnt im jüngsten RUBIKON ein Artikel über die Lage in Bolivien: „Neoliberalismus reloaded“. Zwei Autoren erklären aus der sicheren Berliner Schreibtisch-Lage, wie man die Niederlage der sozialistischen Regierung in Bolivien hätte verhindern müssen. Über die Macht und Kräfteverhältnisse im lateinamerikanischen Land erfährt der Leser kein Wort. Als habe der sozialistische Versuch des Evo Morales im Reagenzglas stattgefunden, als gäbe es kein internationales Kräfte-Verhältnis, als habe nicht die Liquidierung des Real-Sozialismus rund um die Sowjetunion dem US-Imperialismus und seinen Epigonen in der Welt der Konterrevolution jede Menge neue Räume im tödlichen Spiel um die Macht eröffnet.

Die beiden Autoren des RUBIKON gehören wie auch immer zur deutschen Friedensbewegung. Von der ist aktuell leider auch kein Sieg zu vermelden: Die Zahl der Aktivisten stagniert. Die NATO-Propaganda hat sich so weit durchsetzen können, dass Erscheinungen wie Frau Kramp-Karrenbauer und Heiko Maas ihren Neo-Imperialismus über die Mehrheits-Medien nahezu unwidersprochen verbreiten dürfen, und aus der alternden Bewegung wird gern beklagt, dass eine junge Bewegung sich dem Thema Umweltschutz widmet.

Der Name RUBIKON selbst ist ein Musterbeispiel für großsprecherische Fehlleistung: Er spielt programmatisch auf Cäsars Marsch gen Rom an und dessen Eroberung der Macht. Diese Anspielung ist analytisch so einfältig wie möglich: Die deutsche Linke ist nicht mal in der Nähe der Macht, geschweige, dass sie den Hebel gefunden hätte, sie zu erobern. Auch der Untertitel "das Magazin für die kritische Masse", der mit einem Begriff aus der Kernphysik tändelt, ist so verblasen wie möglich: Die Massen in Deutschland sind fest im Griff der unkritischen Massenmedien und von einer Kettenreaktion zur eigenen Befreiung so weit entfernt, wie der RUBIKON von Cäsars alea iacta est, seinem Satz kurz vor der Machtergreifung. Dass im RUBIKON jede Menge kluger Autoren schreiben, mindert seinen aufgeblasenen Ansatz, beseitigt ihn aber leider nicht, wie in „Neoliberalismus reloaded“ zu lesen.

Wollte man die Methode des ebenso ahnungslosen wie wichtigtuerischen Ratschlags auf die beiden Autoren selbst und ihre Bewegung anwenden, käme Folgendes heraus: Beendet die spalterischen Tendenzen in der Friedensbewegung, bekämpft die parlamentarischen Illusionen in der deutschen Linken, hört mit dem Überfliegen auf - lernt erst mal fliegen.

Erst jüngst beglückte Jens Wernicke, der Geschäftsführer der Trägergesellschaft des RUBIKON, die Welt mit einer Marketing-Mail, in der er einen baldigen Krieg mit Russland weissagte und zu dessen Abwehr empfahl, den Newsletter seines Magazins zu abonnieren. Dicke Backen wo man auch hinliest, Bezüge zur Wirklichkeit eher gering.

Nach der Methode RUBIKON sollte man dringend die schweren Fehler von Nelson Mandela untersuchen, dessen Arbeit in Südafrika bis heute nicht zu einer wirklichen Revolution geführt hat. Auf dem Zettel der Schein-Analysten stehen sicher auch schon Liebknecht und Luxemburg, denen nach dieser Methode die verlorene deutsche Revolution anzukreiden wäre.

Ganz sicher würde ein echter Aufschwung der deutschen Friedensbewegung dem Todfeind des Fortschritts in Lateinamerika, den USA, sehr schaden. Denn wenn die Bewegung die sicheren Basen der US-Armee so verunsichern würde, dass diese USA nicht mehr weltweit jede auch nur denkbare Alternative zum Kapitalismus mit Geld und militärischer Macht liquidieren könnte, dann hätten die Latinos sicher mehr Platz zum Atmen. Doch wo die Besserwisserei zur Tugend erklärt wird, sinkt das intellektuelle Niveau weit unter das der Solidarität: So wird Räsonieren zum preiswerten Ersatz für die revolutionäre Theorie.