Ja, sind denn schon wieder Wahlen? Denn wenn man sich sonst um Wahlen nicht kümmerte, konnte man bisher seinen Wahl-Kalender nach der Hamburger Staatsanwaltschaft abreissen: Immer wenn die mal wieder ein Verfahren gegen Gregor Gysi einleitete, gab es bald Wahlen. Denn nichts schien den Hamburger Gysi-Jägern schöner, als die Chancen der Linkspartei zu mindern: Eine Anklage gegen Gysi, darauf hofffte man sehr, sollte die LINKE ein paar Wahlprozente kosten. Man musste kein Freund von Gysi sein, um zu erkennen, dass es sich bei den erfolglosen Verfahren um eine schöne Verbeugung gegenüber Rechts handelte, was zumindest sprachlich nicht weit von der Rechtsbeugung entfernt ist.

Nun also keine Wahlen, sondern der Versuch des Hamburger Generalstaatsanwaltes Lutz von Selle ein neues Verfahren gegen Gysi zu erzwingen. Gegen den Willen des mit dem "Fall Gysi" betrauten Staatsanwaltes, der, nach all den Jahren der Ermittlung ohne Ergebnis, keinen "hinreichenden Tatverdacht“ sehen mag. Und der sogar den Hamburger Justizsenator eingeschaltet hat, weil er sich von Generalstaatsanwalt Lutz von Selle nicht anweisen lassen will. Ja, wen haben wir denn da?

Wir haben mit von Selle jemanden, dem der Kopf zu schwer ist. Auf vielen seiner Fotos stützt er den gedankenschweren Schädel auf einen fragilen Zeigefinger: Ein Denker, soll man denken, aber auch einer, der den Zeigefinger auf Dich richten kann. Dann biste dran! Aber als in Hamburg vor Jahren ein NSU-Mord geschah, hat die Staatsanwaltschaft unter von Selle den Finger erstmal auf das Umfeld des Opfers gerichtet. Einen rechtsextremistischen Hintergrund hatte man nie in Betracht gezogen. Im Hamburger Innenausschuss, der den Mord untersuchte, hatte der Generalstaatsanwalt rotzfrech behauptet: ". . . dass sich in dem uns vorliegenden Aktenmaterial keine Zeugenaussage befindet, die in etwa diesen Inhalt hatte, wie Sie ihn formuliert haben, sprich, keine Vermutung dahingehend, dass diese Tat einen rechtsextremistischen Hintergrund habe.“ Dass sich in den Ermittlungsakten zum Mordfall Tasköprü allerdings mindestens drei Aussagen von unterschiedlichen Zeugen mit Migrationshintergrund finden, die einen entsprechenden Hintergrund bei Rassisten, Neonazis und im NPD-Umfeld vermuteten, das war dem Herrn General irgendwie entgangen.

Wenn selbst die stramm staatstreue WELT dem Generalstaatsanwalt den "Ruf eines Hardliners und Pedanten" attestiert, dessen "Machtanspruch in der eigenen Behörde mittlerweile für ein Klima der Verunsicherung sorgte, und dessen sehr selbstbewusstes, bis hin zu einem sich teils im Ton vergreifenden Auftreten andernorts zu offenem Widerstand, etwa im Landeskriminalamt (LKA) der Polizei führt", dann kann es sich bei von Selle nur um ein besonderes Früchtchen am Baum staatsanwaltschaftlicher Erkenntnis handeln. An diesem Ruf arbeitet von Selle hart, wenn er im Hamburger NSU-Mordfall frühe Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund leugnete und meinte, dass der Tag erst noch komme, an dem die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Verfahrens“ vielleicht zu dem Schluss komme, „dass wir uns eingestehen müssten, Fehleinschätzungen vorgenommen zu haben." Wann der Tag kommt, an dem die Rechts-Blinden dieser Art vor ein ordentliches Gericht kommen, ist ungewiss. Gewiss ist, dass die von Selles ausgestopft in das Museum für Justiz-Irrtümer gehören.

Das von-Selle-Strickmuster – kein rechts, kein rechts, alles fallen lassen – bewährt sich bis in die Kleinigkeiten. Musste doch ein Oberstaatsanwalt Anzeige gegen von Selle wegen Verleumdung erstatten. Der Mann wollte über die Pensionsgrenze hinaus arbeiten, das wollte der General nicht, also wurde der Mann gemobbt: Folglich gab es Aktenkontrollen und schlechte Beurteilungen. Von Selle behauptet, der Oberstaatsanwalt genüge nicht den Anforderungen, die an einen Abteilungsleiter zu stellen seien. Belege? Keine. Und als ein Hamburger Richter in Hinterzimmer mal einen Kraftausdruck benutzte, hatte von Selle flugs eine Beleidigungsklage zur Hand. Dass dieser Mann einen düsteren pensionierten Richter und dessen Strafanzeige zur Verfolgung gegen Gysi nutzt versteht sich. Und wenn dem dann noch die Berufs-Dissidentin Vera Lengsfeld zu Hilfe eilt, dann kann der General einer Schlacht gegen seine eigene Staatsanwaltschaft nicht ausweichen. Kein Tatverdacht? Macht nix, wenn von Selle den Gysi verdächtig findet, dann ist er das auch.

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KLASSE!!!

Johannes M. Becker
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Von Tucholsky abgeschrieben?
Natürlich nicht - es herrschen nur offenbar noch immer die gleichen Kreise/Zustände im Justizwesen/-unwesen ...

Klaus Madersbacher
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Wozu Beweise?
Man kommt auch ohne Beweise zum Ziel, wie diese Story über das diffuse Licht des "Schwarzkittelmilieus" verdeutlicht.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/deutungskampf-um-das-werk-von-fritz-bauer-die-nestbeschuetzer/11087028.html
Dagegen...

Wozu Beweise?
Man kommt auch ohne Beweise zum Ziel, wie diese Story über das diffuse Licht des "Schwarzkittelmilieus" verdeutlicht.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/deutungskampf-um-das-werk-von-fritz-bauer-die-nestbeschuetzer/11087028.html
Dagegen ist das Ansinnen derer von Selles, ein nahezu jämmerlicher Akt.

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Paul-Wilhelm Hermsen
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Das "Ende" des Generalstaatsanwaltes Lutz von Selle wird wie LEO TOTSTOIs "DER TOD DES IWAN ILJITSCH" sein!

Hans Ion
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Man kann ja auch gedanklich aus allem mal etwas Gutes zu machen suchen. Lach.
Tatsächlich kam mich der Gedanke an, da ich vorher den hervorragenden Uli-Artikel über Neuwahlen gelesen hatte, dass vielleicht im Verbund mit der Lengsfeld-Lady so rein...

Man kann ja auch gedanklich aus allem mal etwas Gutes zu machen suchen. Lach.
Tatsächlich kam mich der Gedanke an, da ich vorher den hervorragenden Uli-Artikel über Neuwahlen gelesen hatte, dass vielleicht im Verbund mit der Lengsfeld-Lady so rein prophylaktisch vor einer möglichen Wahl das Negativ-Stimmungsbarometer mal gegen die Linke angeheizt werden sollte!
Vera Lengsfeld hat immer wieder "Karriere" in ihrer Ablehnung und Scheitern bei diversen Versuchen und Parteien gemacht. Zudem leckt sie ihre ganz persönlichen Wunden, die sie aus DDR-Zeiten erlitten hatte, da der eigene Ehemann sich später als Stasi-Mann herausgestellt und sie bespitzelt hatte. Das ist natürlich hart - aber dieses Trauma sollte sie anderweitig behandeln lassen, anstatt ihren Unmut gegen die Linke, der sich in zum Teil haarsträubenden Artikeln wiederspiegelt und die sie überall im Netz platziert als "Heilungschance" anzusehen.
Was für "Nappsülzen" sich da auf verantwortlichen Positionen tummeln, das sieht man an diesem Herrn Lutz von Selle. Wobei das "von" möglicherweise auf "degenerierten Adel" hinweist? Der Art: Ganz in Ordnung, nur im Kopf nicht? Na ja, mit Lengsfeld zusammen sind dann Profilneurotiker unter sich.

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Ingrid Böhm-Duwe
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Auch diesmal wird der Versuch, Gysi in die Stasi-Schmuddelecke zu stellen, kläglich scheitern, ganz gleich, ob die erneuten lächerlichen Anfeindungen dem kranken Hirn eines gewissen von Selle entspringen oder von wem auch immer kommen. Der...

Auch diesmal wird der Versuch, Gysi in die Stasi-Schmuddelecke zu stellen, kläglich scheitern, ganz gleich, ob die erneuten lächerlichen Anfeindungen dem kranken Hirn eines gewissen von Selle entspringen oder von wem auch immer kommen. Der Vormarsch der Linkspartei, auch in den alten Bundesländern, ist nicht mehr aufzuhalten, wie die aktuellen Beispiele Hamburg und Bremen zeigen. Und dies trotz der verzweifelten Versuche der Leitmedien, in ihrer Berichterstattung die LINKE immer nur am Rande zu Wort kommen zu lassen, obwohl sie die stärkere der beiden Oppositionsfraktionen im Bundestag ist. Um die "German Mut"-Partei FDP, die eigentlich kein Mensch braucht, wird hingegen ein Rummel veranstaltet, der an Peinlichkeit kaum zu übertreffen ist, auch wenn die LINKE in Bremen/Bremerhaven mit Abstand am besten abgeschnitten hat. Aber wen wundert´s - so ist so halt, die bundesdeutsche Wirklichkeit! Da fragt sich nur: Cui bono?

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Reinhard Sichert
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Vielleicht muß man öfter die Frage stellen, "aus welchem Bauch das kroch", also was für Motive, was für treibende Kräfte möglicherweise hinter dem aktuellen Verhalten dieses Generalstaatsanwalts stehen. Welche Lehrer und Ratgeber,...

Vielleicht muß man öfter die Frage stellen, "aus welchem Bauch das kroch", also was für Motive, was für treibende Kräfte möglicherweise hinter dem aktuellen Verhalten dieses Generalstaatsanwalts stehen. Welche Lehrer und Ratgeber, wissenschaftliche Leitfiguren und politische Vorbilder, verinnerlichte Dogmen und Mythologien haben die Biographien solcher Herren geprägt? Und "das besondere Früchtchen ist womöglich bei genauerem Hinsehen gar nicht ein so bizarrer Einzelfall. Es ist aufschlußreich, wenn der Rationalgalerist anläßlich dieses neuerlichen Amoklaufs gegen Gysi an des Generalstaatsanwalts Vorgehen im NSU-Verfahren erinnert - und also nochmals die Frage: Aus welchem Bauch kroch das?

Mir scheint es aufs Äußerste bedrückend, es empört und deprimiert mich gleichermaßen, daß sowohl in diesem Prozeß, als auch in der Berichterstattung und Kommentierung des Fernsehens und der sogenannten seriösen Presse niemand danach fragt, was das für ein mentaler, historischer und politischer Hintergrund sein könnte, der dem unfaßbaren, nicht zu glaubenden Versagen des Polizei-und Geheimdienstapparates zugrunde liegt. Da haben einigermaßen akzeptable repräsentative Umfragen ergeben, daß mindestens ein Drittel der Bevölkerung mit dem Panzer eines kernfesten Rassismus ausgestattet sei.
Und was ist mit dem Freund und Helfer und der Überwachungsmaschinerie? Haben die auch ihr Drittel? Gibt´s dort etwa auch diesen Anteil in Form von Rassisten, Kryptofaschisten, Sympatisanten, Verschleierungsgehilfen und Untersuchungssaboteuren? Das wär doch eventuell keine Quantite negligeable. Aber wo keine Fragen gestellt werden, braucht´s auch keine Antworten. Nur von den Nebenklägern kam hin und wieder eine kritische Nachfrage, aber sie war schnell im großen Getöse untergegangen, das da schallte: "Menschliches Versagen! Fehlerhafte Kommunikation! Konkurrenz und mangelhafte Abstimmung unter den Diensten! Versehentliches Schreddern! Nichts gehört! Nichts bemerkt! Aktenlage! Tut uns leid!!"

Gibt´s denn da nicht so was wie eine "Evaluation"? Wie wurde doch nach der "Wende" evaluiert und evaluiert! Da konnten sie gar nicht schnell genug das große Reinemachen betreiben. Menschen durchleuchten, Funktionsträger selektieren, neues Recht schaffen und auch Existenzen vernichten. Das ging wie am Schnürchen. Doch wenn so ein riesenhafter Apparat wie der von Polizei-und Geheimdienst das tut, was er tut, und wenn er nicht tut, was er tun sollte, wenn er also so ist, wie er ist, dann will niemand wissen, wie er ist. Da wird nicht nach möglichen Wurzeln im Nazi-Reich und im Nazi-Denken gefragt und nach dem, was heute vielleicht so frisch daraus hervorwächst. Eher werden Abteilungen neu geordnet und Abläufe umstrukturiert. Dem Patienten wird ein neues Kleid verpaßt. Das war´s!

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Christian Ziewer
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„(Juristische) Verbeugung gegenüber Rechts Rechtsbeugung“ – wunderbar! Was für ein schöner Schmock! Und bei mir war’s denn auch genau so: Ich las davon und fragte mich etwas irritiert sofort, was denn für Wahlen anstünden? Es gibt eben doch...

„(Juristische) Verbeugung gegenüber Rechts > Rechtsbeugung“ – wunderbar! Was für ein schöner Schmock! Und bei mir war’s denn auch genau so: Ich las davon und fragte mich etwas irritiert sofort, was denn für Wahlen anstünden? Es gibt eben doch noch kalendarische Verlässlichkeiten; das Wetter ist es ja schon lange nicht mehr. Und nun das: Nicht mal auf die Terminierung der Gysi-Hatz ist mehr Verlass!
Väterchen Blüms neues Buch „Einspruch – Wider die Willkür an deutschen Gerichten“ hatte ja die „Zeit“ mit einer krass-arroganten Rezension von Bundesrichter Professor Dr. Thomas Fischer geehrt und Blüm danach folgerichtig verweigert, eine Replik darauf zu veröffentlichen. Wie auch immer: Mit den Justizbehörden passt was nicht in diesem Lande. Da reiht sich der Herr Generalsstaatsanwalt wunderbar ein: Arroganz, Selbstherrlichkeit und eine völlige Unfähigkeit zur Selbstreflexion und zum Zweifel bedeuten den völlig normalen Aggregatzustand dieser Spezies. Ob Gysi oder der Gustl Mollath, ob die rechtsäugige Erblindung in Sachen NSU – diese völlig abgehobene, selbstkritikunfähige und rechtsservile dritte Gewalt macht Schaudern.
Dein Schmock hingegen ist zum Wegschmeißen! Mit anderen Worten: erste Gewalt.

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Reyes Carrillo
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"An diesem Ruf arbeitet von Selle hart, wenn er im Hamburger NSU-Mordfall frühe Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund leugnete und meinte, dass der Tag erst noch komme, an dem die Staatsanwaltschaft als `Herrin des Verfahrens´ vielleicht...

"An diesem Ruf arbeitet von Selle hart, wenn er im Hamburger NSU-Mordfall frühe Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund leugnete und meinte, dass der Tag erst noch komme, an dem die Staatsanwaltschaft als `Herrin des Verfahrens´ vielleicht zu dem Schluss komme, dass wir uns eingestehen müssten, Fehleinschätzungen vorgenommen zu haben." Wann der Tag kommt, an dem die Rechts-Blinden dieser Art vor ein ordentliches Gericht kommen, ist ungewiss. Gewiss ist, dass die von Selles ausgestopft in das Museum für Justiz-Irrtümer gehören."

Ja so wie weiland Roland Freisler - ist der nicht sogar - mit dem Gesetztbuch in der Hand - von den Trümmern seiner Bollwerke erschlagen worden ?

Na, das lässt hoffen :)

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Gideon Rugai
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@Ingrid Böhm-Duve
Zitat:
„Vera Lengsfeld hat immer wieder "Karriere" in ihrer Ablehnung und Scheitern bei diversen Versuchen und Parteien gemacht. Zudem leckt sie ihre ganz persönlichen Wunden, die sie aus DDR-Zeiten erlitten hatte, da der...

@Ingrid Böhm-Duve
Zitat:
„Vera Lengsfeld hat immer wieder "Karriere" in ihrer Ablehnung und Scheitern bei diversen Versuchen und Parteien gemacht. Zudem leckt sie ihre ganz persönlichen Wunden, die sie aus DDR-Zeiten erlitten hatte, da der eigene Ehemann sich später als Stasi-Mann herausgestellt und sie bespitzelt hatte. Das ist natürlich hart - aber dieses Trauma sollte sie anderweitig behandeln lassen, anstatt ihren Unmut gegen die Linke, der sich in zum Teil haarsträubenden Artikeln wiederspiegelt und die sie überall im Netz platziert als "Heilungschance" anzusehen.“
Über diesen Absatz habe ich mich besonders gefreut! Es gelingt Ihnen mit wenigen Worten, das „ganze“ Schicksal dieser verstörten Politikerin in gerader Sachlichkeit – und mit einem Aufblitzen von Empathie zu skizzieren. Ich selbst hatte schon die Feder gespitzt und wollte Frau L. ab ihrem Absturz in Broders „Achse des Guten“ mit der Laubsäge zersägen… Sie haben’s mir abgenommen. Mit Ihrem Stil. Danke. Es geht also doch: Frau kann auch (politisch) vernichten, ohne dafür nur ein Milligramm Polemik nötig zu haben. Bravo.

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Reyes Carrillo
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