Die Hüterin der Bildung, des Glaubens und des Gewissens, hatte einst eine Doktorarbeit geschrieben. Zu gern würde man sich mit ihrem Text "Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit u. Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" auseinandersetzen. Doch seitdem der Plagiatsvorwurf unterwegs ist - 94 von 325 Seiten ihrer Dissertation enthielten Textstellen ohne Quellenangaben obwohl es Quellen gab - lässt die Frau Bildungsministerin niemanden an ihre Arbeit ran: Sie verbot der Universität Düsseldorf Informationen zur Plagiats-Untersuchung an die Öffentlichkeit zu geben. Das, so Frau Dr. Annette Schavan, sei sie sich "und der Wissenschaft schuldig." Frau Schavan schuldet der Öffentlichkeit viel: Ihr Studium an der Universität wurde aus Steuermitteln finanziert, sie lebte seit dem Ende dieses Studiums als Leiterin des katholischen Bildungswerkes Cusanus mal von Kirchensteuern, oder von gewöhnlichen Steuern als Bildungsministerin in Land und Bund: Immer wurde sie öffentlich alimentiert. Ansonsten scheut die Dame eher das Licht der Öffentlichkeit.
"Nach bestem Wissen und Gewissen", so Annette Schavan, habe sie ihre Doktorarbeit geschrieben. Und von Gewissen sollte das Mitglied des Deutschen Bundestages und des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken etwas verstehen. Als Abgeordnete ist sie, glaubt man dem Grundgesetz, nur ihrem Gewissen unterworfen. Aber hat sie ein Gewissen und wann holt sie es raus, Sonntags? Als Katholikin unterliegt sie der Beichte, vor der Beichte liegt die Gewissensprüfung, erst dann kann vergeben werden. Aber wer soll ihr vergeben, wenn sie uns nicht prüfen lässt? - Nicht vergeben wollte die damalige württembergische Bildungsministerin Schavan dem Lehrer Michael Csaszkóczys. Der Mann war zwar bei Eltern und Schülern beliebt, auch seine Kollegen hatten an ihm nichts auszusetzen, aber Schavans Ministerium sah in ihm einen gefährlichen Radikalen, der - weil er gegen Nazis demonstrierte - nicht die Gewähr biete, "jederzeit voll für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten." Also wurde er erstmal nicht eingestellt. Als der Baden-Württembergische Verfassungs-Schutz im Jahr 2004 sein Dossier gegen den Lehrer zusammenschmierte, um die Grundlage für dessen Berufsverbot zu klittern, da durfte die NSU-Nazi-Bande noch unerkannt durch die Gegend morden. Die Akte des Lehrers ist allerdings bis heute nicht geschreddert. So etwas wie ein Gewissen müsste zumindest zu einer Entschuldigung führen. Bei Schavan: Fehlanzeige.
Die kleine Annette ist im Schatten des Neusser Quirinus-Münster aufgewachsen. Dort, wo der Konrad-Adenauer-Ring den alten Stadtkern fest umrundet. In dieser Stadt am Rhein, die bis heute von der bigott-katholischen Millionärs-Familie Wehrhahn beherrscht wird. Jahr für Jahr im Sommer marschieren dort Tausende Schützen-Brüder durch die Altstadt. Mit klingendem Spiel, klimpernden Orden und kräftigen Bierfahnen prägen sie bis heute die Atmosphäre in einem Ort, der zu gern Großstadt wäre und doch immer Provinz bleibt: Geduckt, gerne groß und immer kleinlich. Wer wird darin nicht die Wurzeln der schäbigen Schadenfreude erkennen, die im hämischen Lächeln der Schavan aufblitzte, als sie und die Kanzlerin auf der Ausstellung "Cebit" die Nachricht vom Rücktritt des Plagiators Guttenberg erfuhren. Neuss meets Templin, zwei vorgebliche Groß-Politikerinnen zeigten ihr Gesicht. Gewissen? Gerade in der Reinigung. Inzwischen hatten sich die objektiven Wissenschaftsapparate zur Diskussion über die Doktorarbeit der Wissenschaftsministerin gemeldet: Frau Schavan sei irgendwie unschuldig, quasi, fast ganz, beinahe. Objektive Wissenschaften, das sind jene Maschinen, die sowohl die Klimakatastrophe analysieren, wie sie auch die technischen Voraussetzungen dafür herstellen können.
Im Fall von Frau Schavan war es die "Allianz der deutschen Wissenschaften", deren Mitglieder - Humboldt Stiftung, Fraunhofer Gesellschaft oder die Hochschulrektorenkonferenz zum Beispiel - zu den wissenschaftlichen Schwergewichten gehören, die sich zur Verteidigung der Ministerin gemeldet haben. Zwar haben auch sie die Doktorarbeit nicht gelesen, stehen aber alle auf der Zuwendungsliste des Ministeriums. Soweit zur Objektivität. Seit acht Monaten zieht sich das Schavan-Verfahren nun hin. Offenkundig hat die Universität Düsseldorf jetzt ein "ergebnisoffenes" Verfahren zum Entzug des Doktortitels eingeleitet. Einen Tip zur weiteren Entwicklung sollte man Frau Schavan mit auf den Weg geben: Die Kanzlerin hat mehrfach betont, dass sie hinter ihrer Bildungsministerin stünde. Das ist genau jene Position von der aus man gut zurückgetreten werden kann. Ganz sicher wird Frau Merkel diesen Schritt im Einklang mit ihrem Gewissen gehen.