Jüngst wurden Israel-Flaggen in Berlin verbrannt. Das wäre, wenn es echte Flaggen gewesen wären, echt strafbar gewesen. Man hätte die Täter nach § 104 des Strafgesetzbuches ein bisschen bestrafen können. Ziemlich sicher waren es aber keine echten Hoheitssymbole, sondern selbstgebastelte Imitate. Deren Verbrennung gilt als schlichte Meinungsäußerung. Eine Meinung zu äußern, ist aber noch nicht strafbar. In Israel werden von einer kleinen orthodoxen jüdischen Minderheit aus religiösen Gründen ziemlich regelmäßig israelische Flaggen verbrannt: Die Orthodoxen mögen den zionistischen Staat nicht. Aber nicht mal ausgemachte zionistische Hardliner kamen bisher auf die Idee, diese Gruppierung für antisemitisch zu halten.

Ganz anders in Deutschland. Die paar aus Protest gegen die israelische Unterdrückung der Palästinenser angekokelten Fähnchen führten zu einem mächtigen öffentlichen Aufbäumen: Kanzlerin Angela Merkel sprach von „gravierenden Ausschreitungen“, der studierte SPD-Justizminister Heiko Maaß meinte, dass, wer israelische Fahnen in Brand stecke, auch „unsere Werte“ verbrennen würde. Und Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, äußerte im Reflex: Wer israelische Fahnen verbrennt, stellt das Existenzrecht Israels infrage. So aufgezäumt galoppierte der Politgaul gleich in den Bundestag und führte zu einer Entschließungsvorlage mit dem hochtrabenden Titel „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“. Die bediente sich dann eines alten schäbigen Tricks und setzte „Boykottaufrufe und Beleidigungen gegen Israel“ dem Antisemitismus gleich. Der Mord an europäischen Juden durch die deutschen Nazis und die darüber anhaltende deutsche Scham wird mit der absichtlichen Verwechslung von Israel-Kritik und Antisemitismus schamlos für eigene Ziele ausgebeutet und entwertet.

Mit dieser Sorte selbst erzeugten Rückenwindes forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, einen Antisemitismusbeauftragten zu berufen. „Der Antisemitismusbeauftragte soll sich der ressortübergreifenden Koordination der Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung des Antisemitismus widmen.“ Der Antisemitismus, den es zweifellos gibt, ist eine ziemlich verrückte Weltanschauung, die einer religiösen oder ethnischen Gruppe eine diffuse Schuld zuweist. Solcherlei verdrehte Ideologie ist nicht auf die Verleumdung und Verachtung von Juden beschränkt. Wer in den letzten Jahren deutsche Mainstream-Medienprodukte konsumierte, konnte zur Auffassung gelangen, dass „die“ Russen oder „Putin“ für alles erdenklich Schlechte verantwortlich seien.

In beide Fällen, dem Antisemitismus und der Russophobie, sollen die ideologischen Konstrukte auch dazu herhalten, deutsche Schuld zu minimieren. Aber während es im Falle des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden eine informierte und informierende Öffentlichkeit gibt, ist sowohl die Zahl der ermordeten Sowjetbürger, die deutlich mehr als zwanzig Millionen beträgt, als auch die deutsche Verantwortung für den rassistischen Feldzug gegen die zumeist russischen „Untermenschen“ kaum bekannt. Wer das nicht glauben mag, der muss sich nur schlichte Fragen stellen: Gibt es ein Mahnmal für die von den Nazis ermordeten sowjetischen Völker in Deutschland, gab es eine „Wiedergutmachung“ für die unzähligen Toten und die im Gefolge der „verbrannten Erde“ angerichteten unermesslichen Schäden, gab und gibt es eine deutsche Außenpolitik, die auf die Freundschaft mit Russland, dem Nachfolgestaat der Sowjetunion orientierte? Und während man die Feindschaft des westdeutschen Staates gegen die Sowjetunion noch der Zweiteilung der Welt, dem Kampf der Systeme zuordnen mochte, blieb nach der Implosion der Sowjetunion kein politisches Konstrukt zur Rechtfertigung dieser rassistisch aufgeladenen Haltung mehr übrig.

Das deutsche Grundgesetz in seiner kühlen juristischen Weisheit behauptet, dass ALLE Menschen vor dem Gesetz gleich sind und verlangt deshalb, dass NIEMAND „wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf. NIEMAND. Wenn jetzt eine religiös definierte Gruppe, die Israelis, einen eigenen Kommissar zur Sicherung ihrer Interessen bekommt, dann widerspricht das dem Grundgesetz und wirft eine Reihe von Fragen auf, die nicht juristisch zu beantworten sind. Da die Mütter und Väter des neue Manifestes zum Antisemitismus zur Begründung nur ideologisches Geschwurbel anbieten, ist man auf begründete Vermutungen zur Beantwortung der Fragen angewiesen.

Ganz sicher soll diese innenpolitische Maßnahme die deutsche Außenpolitik gegenüber Israel zementieren. Jene ziemlich bedingungslose Treue einem Staat gegenüber, der eine aggressive Haltung gegen seine Nachbarn einnimmt. Einem Staat, dessen atomare Bewaffnung zumindest seinen iranischen Konkurrenten im Nahen Osten gefährlich bedroht. Einem Staat, der im Inneren eine Sorte der Apartheid pflegt, die weder den internationalen Menschenrechten entspricht, noch auf die friedliche Lösung des Nah-Ost-Konfliktes orientiert. Ebenso sicher dient dieser neue Beauftragte auch der Legitimierung der permanenten deutschen Rüstungs-Exporte nach Israel. Von den vielen Kleinwaffen, die im israelischen Krieg gegen die Palästinenser Verwendung finden, bis zu U-Booten und Korvetten für die israelische Marine, die den Großmachtansprüchen der Israelis dienlich sind.

Der Antisemitismus-Beauftragte wird in Wahrheit ein moralisch maskierter Israel-Beauftragter sein. Ein Funktionär, der für das Gehalt eines Staatssekretärs die Existenz des modernen deutschen Staates nicht aus dem Verbrechen des Zweiten Weltkriegs erklären soll, sondern ihn primär auf das Verbrechen des Holocaust zurückführt. Das umgeht das Friedensgebot des Grundgesetzes, das blendet die Frage aus, ob sich denn ein Verursacher des Zweiten Weltkrieges an diversen Kriegen in anderen Ländern beteiligen darf, das veredelt eine militarisierte Außenpolitik und formiert das Land auch im Inneren: „Wir sind sind die GUTEN, soll der Beauftragte akzentuieren. Wir haben aus unserer Schuld gegenüber den Juden gelernt. Dass es noch andere Opfer gibt, soll die deutsche Öffentlichkeit nicht wissen.

Was fehlt ist nur noch der Name des hohen Beauftragten. Fraglos drängt sich Henryk M. Broder, der Kasper der Israel-Rundum-Verteidigung auf. Von Broder stammt der zynische Satz „Verglichen mit dem Warschauer Ghetto ist Gaza ein Club Méditerranée.“ Von dieser mörderischen Position ist der Schritt zum Vergeltungs-Terror nicht mehr weit weiß Broder: „Die Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, übersteigt die Grenze zum Irrealen.“ Broder hätte auf alle Fälle den Vorteil, dass der ganze romantische Klimbim um den neuen Job auf seinen Wesensgehalt geführt würde: Wer nicht für Israel ist, der ist ein Feind.

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Gellermann schreibt über die heimliche Veränderung der Republik. Und es ist unheimlich.

Gerd Bauer
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Interessant herausgearbeitet. Unser Staat wird umgebaut. Schneller noch als dem Staat passiert das mit der hohen Politik: die macht sich gerade überflüssig. Es ist längst egal, wie die Marionetten heißen und was ihre Funktion ist. Wer z.B. das...

Interessant herausgearbeitet. Unser Staat wird umgebaut. Schneller noch als dem Staat passiert das mit der hohen Politik: die macht sich gerade überflüssig. Es ist längst egal, wie die Marionetten heißen und was ihre Funktion ist. Wer z.B. das Theater um die GroKo ernst nimmt, könnte etwas übersehen. Eine ganz eindeutige Richtung ist eingeschlagen: mit der NATO in kriegerischer Absicht ab nach Osten. Darüber lamentiert und streitet keiner laut, sondern alle Marionetten sind sich einig. Für die Berufung eines Israel-Beauftragten, der hier unter dem Schirm der Kollektivschuld diejenigen zu verunglimpfen hat, die es stört, wenn der Staat Israel durchdreht, gibt es breite Mehrheiten. Der Staat Israel, präziser gesagt seine Führung, ist aber nicht das jüdische Volk. Genau so wenig repräsentiert die geschäftsführende deutsche Bundesregierung und ihre ungebildete Nachfolge die Deutschen. Man nimmt sich einiges heraus, in der Gewissheit, dass Wahlen nichts an der Herrschaft der Kriegstreiber ändern. Und bevor der Michel trotz Vollbeschäftigung was merkt, wird wieder einige Meter weiter marschiert.

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Andreas Schell
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Einer von den Artikeln, die es sich in sich haben, und der sich abhebt vom allgemeinen, sich wiederholenden langweiligem Einheitsbrei, der die Republik in den Tiefschlaf schreibt.
Danke für Inhalt, fürs Erinnern, für Seriosität und...

Einer von den Artikeln, die es sich in sich haben, und der sich abhebt vom allgemeinen, sich wiederholenden langweiligem Einheitsbrei, der die Republik in den Tiefschlaf schreibt.
Danke für Inhalt, fürs Erinnern, für Seriosität und unbestechlichen, politischem Journalismus, wie er der Republik mehr als gut tut, und dazu beiträgt die verkrusteten gesellschaftlichen und politischen Strukturen in Frage zu stellen, und den historischen Fakten zu folgen. und davon gibt es mehr als genug, die in der Bewertung kein sowohl als auch, oder Beliebigkeiten zulassen, sondern ein Lernen aus der Geschichte einfordern.

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Ulrike Spurgat
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Auf der Welt: Abgehängtes Humankapital, schlimm genug. Wer braucht Religioten, die fordern, my religion is irgendwie heiliger, hohliger? Hooliger.
Wir und unsere russischen Freunde, kochen uns gerade um Verstand und Hüftenumfang, das battle wird...

Auf der Welt: Abgehängtes Humankapital, schlimm genug. Wer braucht Religioten, die fordern, my religion is irgendwie heiliger, hohliger? Hooliger.
Wir und unsere russischen Freunde, kochen uns gerade um Verstand und Hüftenumfang, das battle wird kein gutes Ende nehmen. Wir brauchen Schnaps, saufen wir uns die GroKo schön. Bitte nicht ernst nehmen. Wir alle können nicht so viel, wie wir, na ihr wisst schon.

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Anke Zimmermann
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Hallo Ulli,
lies dir bitte mal den 90a StGB durch. Strafbar macht sich nur, wer eine deutsche Flagge oder eine ihrer Länder (gemeint sind Bundesländer ) verunglimpft. Israel ist kein Bundesland der BRD.
Man versucht hier den Tatbestand...

Hallo Ulli,
lies dir bitte mal den 90a StGB durch. Strafbar macht sich nur, wer eine deutsche Flagge oder eine ihrer Länder (gemeint sind Bundesländer ) verunglimpft. Israel ist kein Bundesland der BRD.
Man versucht hier den Tatbestand Volksverhetzung (130 StGb ) anzuwenden.

Ansonsten war der Artikel gut.

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Reinhard Ziegler
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Israel ist noch kein Bundesland.

Uli Gellermann
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Ein herrlicher Artikel. Glückwunsch.
Ich weise noch darauf hin, das Palästinenser niemals antisemitisch sein können. Sie sind nämlich von der Rasse her selber Semiten und würden somit gegen sich selbst sein. Palästinenser können höchstens
Antizionis...

Ein herrlicher Artikel. Glückwunsch.
Ich weise noch darauf hin, das Palästinenser niemals antisemitisch sein können. Sie sind nämlich von der Rasse her selber Semiten und würden somit gegen sich selbst sein. Palästinenser können höchstens
Antizionisten sein, aber niemals Antisemiten.
Auch würde ich unsere politische Elite nicht als Russophob bezeichnen sondern eher als Antislawisten. Das ist ein Merkmal unserer Eliten seit langer Zeit und richtete sich nie allein gegen Russen, sondern gegen alles was im Osten nicht der Herrenrasse zugerechnet wurde.

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Alexander Kocks
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HOHEITSSYMBOLE VERBRENNEN?
NIEMALS!
WASCHEN? - JEDERZEIT!

Lutz Jahoda
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"Antwort von U. Gellermann:
Israel ist noch kein Bundesland. "
-----------------------------------------
Ganz sicher?
Vom Einfluß auf die Bundespolitik ausgehend,
könnte man aber glatt zu einem anderen Fazit kommen.

Andreas Buntrock
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"Antisemitismusbeauftragter" ?
Bitte schön: Für welchen Antisemitismus?
Für den, den die Antideutschen meinen?
Guten Abend, liebes Abendland, nein, guten Abend, liebes Weltland!
Denn die antideutsche Definition des Begriffes Antisemitismus ist...

"Antisemitismusbeauftragter" ?
Bitte schön: Für welchen Antisemitismus?
Für den, den die Antideutschen meinen?
Guten Abend, liebes Abendland, nein, guten Abend, liebes Weltland!
Denn die antideutsche Definition des Begriffes Antisemitismus ist entsetzlich ausgeweitet und unser Staat mit beinahe sämtlichen Verantwortlichen macht da mit. Dieser "Antisemitismus" versteht ja schon Judenfeindlichkeit unter der reinen Kritik an der Politik eines Staates, nur weil der Staat zufällig ein jüdischer ist. Wenn eine solche Denkfigur weitergedacht wird, darf überhaupt nicht mehr kritisiert werden, weil jeder und jedes seine eigene Spezifität hat. Folglich herrscht Meinungsdiktatur, und wir müssten uns überlegen, unser Grundgesetz abzufackeln, weil es zur Farce verkommen ist! Nur, bloß das nicht, denn das Grundgesetz ist noch der einzige Rettungsanker, der uns geblieben ist, wenn auch nur aus bloßem Papier oder flüchtigen Pixeln.

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Charlotte Ullmann
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Meine UTOPIE: Menschheit erkenne, dass
a l l e RELIGIONEN Super-Sehn-SÜCHTE ( also WAHN-Ideen!) sind nach einem nicht existenten(!) "Allmächtigen"! Alle "GLÄUBIGEN" werden seit Anbeginn der RELIGIONEN von den jeweiligen Herrschern für KRIEGE...

Meine UTOPIE: Menschheit erkenne, dass
a l l e RELIGIONEN Super-Sehn-SÜCHTE ( also WAHN-Ideen!) sind nach einem nicht existenten(!) "Allmächtigen"! Alle "GLÄUBIGEN" werden seit Anbeginn der RELIGIONEN von den jeweiligen Herrschern für KRIEGE ausgenutzt, "im Namen" ihrer jeweiligen GÖTTER! Die "JUDEN" werden aber nicht nur wegen JAHWE, sondern gerade wegen ihrer "semitischen RASSE" seit 1933 von der "arischen RASSE" verfolgt! "RASSEN-Hass" und "RELIGIONS-Hass" werden gern vermischt, je nachdem wie es den "HERRSCHERN" für ihr "KRIEGEN"-Wollen gerade passt! "Juden" und "Palästinenser" sind sogar genetische "RASSEN"-Brüder, aber mit verschiedenen, feindlichen "GÖTTERN"!
PS: "sensuth" (ahd.) Leiden, Krankheit, Sucht, unstillbares Verlangen.
Super-Sehn-Sucht = Geistes-Krankheit, die für ein "gewähntes" Paradies kämpft!

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Hans Informat-Ion
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