Da war doch was? Richtig. Gerade erst, zum 19. Mai, rief eine Riesen-Koalition zu einer Demonstration gegen „Nationalisten und Rechtsextreme“ auf und so nebenbei auch zur EU-Wahl. Was die gewählten Parlamentarier und die von ihnen gesteuerte Justiz und Polizei anscheinend nicht konnten, den Kampf gegen Rechtsextremismus aufnehmen, das sollte nun die außerparlamentarische Opposition leisten. Da ist doch was? Richtig. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat in der deutschen Öffentlichkeit eine große Empörungs-Gemeinde auf den Plan gerufen. Von Tagesschau bis Seehofer: Alle warnen vor einer angeblich neuen Gefahr von Rechts.

Der bislang einzig bekannte Mörder des Regierungspräsidenten ist Stephan Ernst, ein notorischer Rechts-Terrorist. Nicht notorisch genug, um ein polizeiliches Auge auf ihn zu haben. Obwohl der Verfassungsschutz ihn in den Akten hatte. Denn Stephan Ernst war ein bekannter Kontakt des Verfassungsschutz-V-Mannes Benjamin Gärtner. Der bekam Staatsknete für seine Spitzel-Tätigkeit vom hessischen Verfassungsschützer Andreas Temme. Das ist jener aus der Öffentlichkeit verschwundene Beamte, der sich während des NSU-Mordes an Halit Yozgat im Internetcafé der Familie Yozgat aufgehalten hatte und ungestraft behaupten durfte, er habe nichts gesehen oder gehört. Temme ist jener Mann, dessen Akte verschwunden ist. Das ist die Schlüsselfigur, deren Akte mit Wissen und Duldung der hessischen CDU-Spitze mit einer 120-jährigen Sperrfrist versehen wurde. Das ist eine der vielen Akten, die, gesperrt oder geschreddert, den braunen Sumpf rund um die NSU-Verbrechen den Rechtsstaat umschwirren wie Fliegen die Scheiße.

Stephan Ernst stand in Verbindung mit "Blood & Honour", jenem Netzwerk, das auch dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) half. Alles aktennotorisch, wenn es denn die Akten noch gibt und wenn sie zugänglich sind. Fraglos wären sie zugänglich, wenn der Generalbundesanwalt, der im Mordfall Lübcke die Ermittlungen übernommen hat, die Akten anfordern würde. Der Generalbundesanwalt ist ein politischer Beamter. Er muss Weisungen seines Dienstherren annehmen. Der unmittelbare Vorgesetzte ist der Justizminister. Die Ministerin soll jetzt, nach Katarina Barley, Christine Lambrecht werden. Doch niemand hätte zuvor die Kanzlerin oder andere Minister gehindert, im NSU-Fall den Generalbundesanwalt einzuschalten. Auch die Unterzeichner des Aufrufes gegen "Nationalisten und Rechtsextreme" hätten mühelos die Forderung nach dem Bundesanwalt in die Öffentlichkeit setzen dürfen. Sogar eine Demonstration für diese Forderung wäre, spätestens nach dem dubiosen Ausgang des NSU-Prozesses, fällig gewesen. Zumal brave, etablierte Parteien wie GRÜNE, LINKE und SPD sogar in verschiedenen Untersuchungsschüssen zum NSU-Terror-Prozess tätig waren, erfolglos wie man weiß.

Erst jüngst teilte uns die öffentlich-rechtliche "Hessenschau", das Regionalmagazin des Hessischen Rundfunks, lapidar mit: "Mordfall Lübcke - Verfassungsschutz: Akte noch da, aber gesperrt ". Wo sind die Weisungen an den Generalbundesanwalt, er möge den Chef des Verfassungsschutzes in Erzwingungshaft (§ 70 Abs. 2 StPO) zur Herausgabe der Akten nehmen. Und jene Mitglieder der hessischen Landesregierung in die gleiche Zelle stecken, die an der Akten- und Zeugen-Vertuschung rund dem NSU-Prozess beteiligt waren. Um die Wahrheit über das braune Netz aufzudecken. Deutschland hat ein rechtliches Instrumentarium, um die rechte Unterwanderung des Staatsapparates aufzuklären. Doch keiner der unberührbaren Parlamentarier rührt sich.

Statt die vorhandenen Instrumente zu nutzen, wird eine große öffentliche Empörungsschau abgeliefert. Statt den Gesetzen der Republik Geltung zu verschaffen, wird der Bundesanwalt ohne Weisung ins absehbare Nirwana geschickt. Statt die durchaus bekannten Mittel des Parlamentarismus einzusetzen, drückt man sich vor der eigentlichen Verantwortung außerhalb von Regierung und Parlament: In Pressekonferenzen, Interviews und allgemeinem Geschwätz. Wer so handelt, der heuchelt Betroffenheit, statt ernsthaft den rechten Terror zu bekämpfen.

Kommentare (27)

Einen Kommentar verfassen

0 Zeichen
Leserbriefe dürfen nicht länger sein als der Artikel
Anhänge (0 / 3)
Deinen Standort teilen
Gib den Text aus dem Bild ein. Nicht zu erkennen?
This comment was minimized by the moderator on the site

Den rechten Terror mit "bekannten Mitteln des Parlamentarismus" bekämpfen? Nein, das geht überhaupt nicht. Da reicht es doch, geheuchelte Empörung zu demonstrieren. Ja nicht tiefer bohren. Die Wahrheit liegt als politische Leiche im Keller der...

Den rechten Terror mit "bekannten Mitteln des Parlamentarismus" bekämpfen? Nein, das geht überhaupt nicht. Da reicht es doch, geheuchelte Empörung zu demonstrieren. Ja nicht tiefer bohren. Die Wahrheit liegt als politische Leiche im Keller der Geschichte. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Sagte Brecht. Danke für diesen treffsicheren Kommentar, lieber Uli.

Weiterlesen
Harry Popow
This comment was minimized by the moderator on the site

Danke für die beinharte Aufklärung.

Petra Kamohaus
This comment was minimized by the moderator on the site

Da besetzt man das Präsidium des Verfassungsschutzes jahrelang mit bewährten Nazis (Schrübbers, Smoydzin etc.) und wundert sich dann ernsthaft, dass die ganze Instutition mit braunen Netzwerken durchsetzt ist? Echt jetzt??

Felix Obermeyer
This comment was minimized by the moderator on the site

Danke für die schmerzhaft klaren Worte. Die Vorgänge verstärken die bedrückende Vermutung, dass unser schwatzhaftes System nicht in der Lage ist, Probleme zu lösen, sondern seine faktische Untätigkeit mit einem Schwall von Forderungen,...

Danke für die schmerzhaft klaren Worte. Die Vorgänge verstärken die bedrückende Vermutung, dass unser schwatzhaftes System nicht in der Lage ist, Probleme zu lösen, sondern seine faktische Untätigkeit mit einem Schwall von Forderungen, Bekenntnissen und Vorwürfen tarnt.

Weiterlesen
Hans-Heiko Schlottke
This comment was minimized by the moderator on the site

Wir haben in Deutschland keine unabhängige Justiz und ein Parlament mit äußerst beschränkten Rechten, und das heißt, einen Souverän mit beschränkten Rechten. Dass Parlamentarier keine Akteneinsicht erhalten, und wenn ihnen - beschränkter - Zugang...

Wir haben in Deutschland keine unabhängige Justiz und ein Parlament mit äußerst beschränkten Rechten, und das heißt, einen Souverän mit beschränkten Rechten. Dass Parlamentarier keine Akteneinsicht erhalten, und wenn ihnen - beschränkter - Zugang erlaubt wird, werden sie zu Geheimhaltung gezwungen. Die Justiz ist nicht unabhängig, sondern der Generalbundesanwalt ein Beamter, der unter der Fuchtel der Exekutive steht, ja zu ihr gehört. Damit ist die Gewaltenteilung in Deutschland ein schöner Traum, keinesfalls aber Realität. In Italien hätte es nie eine Bewegung "Mani pulite" gegeben, gäbe es dort nicht unabhängige, der dritten Gewalt angehörige, nicht Weisungen der Exekutive unterworfene Ermittlungsrichter. Das hat allerdings den Tiefen Staat in Italien auch nie sonderlich behindert. Und der Mord an Lübcke, der NSU, das Oktoberfest-Attentat, das Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin - all das ist Tiefer Staat. Die Geheimdienste und wer auch immer noch haben die Arme bis zum Ellenbogen im braunen Sumpf, der damit zusammenhängenden organisierten Kriminalität und dem Schwarzhandel, vor allem mit Waffen. Das alles weiß man oder kann man wissen, auch ohne die Details durch Akteneinsicht zu kennen. Das gilt dann als Verschwörungstheorie und wird demnächst von der ach so demokratischen EU bekämpft werden.

It's Capitalism, stupid!, muss man ausrufen. Und Kapital, das hat es mehrfach bewiesen, ist, wenn es um seinen Profit geht, und darum geht es immer, zu jedem Verbrechen fähig, selbst bei Drohung des Galgens. Der Galgen aber droht eher den Unteren als dem Kapital. Habt ihr alle gelbe Westen, auch die Nicht-Autobesitzer?

Weiterlesen
Christel Buchinger
This comment was minimized by the moderator on the site

Danke für die vorzügliche Analyse.

Terror erzeugt Angst und dient damit der Machterhaltung.

Matthias Brendel
This comment was minimized by the moderator on the site

Danke für die klaren Worte. Die Schein-Aufregung gegen Rechts geht bis in die LINKE und wird dort verwandt, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken.

Silly Weber
This comment was minimized by the moderator on the site

Heuchler! Genau, das sind sie, die nicht danach handeln, wozu sie verpflichtet sind, denn Ihr Handeln verfolgt andere Interessen. Dafür, für dieses Interesse „muss der Verfassungsschutz ausgebaut werden“ (Seehofer in der Passauer Neuen Presse vom...

Heuchler! Genau, das sind sie, die nicht danach handeln, wozu sie verpflichtet sind, denn Ihr Handeln verfolgt andere Interessen. Dafür, für dieses Interesse „muss der Verfassungsschutz ausgebaut werden“ (Seehofer in der Passauer Neuen Presse vom Samstag).
Heuchler! Allen ins Stammbuch, die mit dem Kampf gegen Rechts zur Wahl aufgerufen haben, und ihn dann nicht führen, wenn sie die Waffen dazu in der Hand haben.

Weiterlesen
Klaus-Jürgen Bruder
This comment was minimized by the moderator on the site

Lieber Ulli,

wie recht Du hast in der Beurteilung des Zusammenhangs zwischen den NSU-Morden und dem Mord an Walter Lübcke.

Hier wie dort spielt der Verfassungsschutz eine zentrale Rolle bei der Düngung des braunen Sumpfes:
Zum Beispiel die...

Lieber Ulli,

wie recht Du hast in der Beurteilung des Zusammenhangs zwischen den NSU-Morden und dem Mord an Walter Lübcke.

Hier wie dort spielt der Verfassungsschutz eine zentrale Rolle bei der Düngung des braunen Sumpfes:
Zum Beispiel die Alimentierung von V-Leuten, die das Geld gerne weiterleiten an ihre Gesinnungskameraden. Und dann wegschauen, wo hingeschaut werden müsste, der Aufklärung dienende Akten schreddern oder wegsperren.

Das Verdienst, all das im NSU-Untersuchungsausschuss aufgedeckt zu haben, gebührt vor allen Dingen der Linken im Hessischen Landtag, auch die Verfilztheit des Verfassungsschützers Temme enttarnt zu haben, der sich wie zufällig just in dem Moment im Internetcafé aufhielt, als gerade Halit Yozgat ermordet wurde, ohne angeblich etwas davon mitbekommen zu haben.

Jetzt aber die Linke mit den anderen "braven" Parteien (SPD, Grüne) in einen Sack zu stecken und draufzuhauen und zu verkünden, die Untersuchung sei "erfolglos" gewesen, halte ich für unverhältnismäßig. .

Dass aus der Untersuchung keine konkreten Konsequenzen gezogen wurden, nämlich dem braunen Sumpf das Wasser abzugraben, das haben die Regierungsparteien zu verantworten, die, wie Du richtig schreibst, dem Verfassungsschutz gegenüber weisungsbefugt sind und mindestens eine Sperrung der Akten hätten verhindern können.

Zudem hat die Linke jetzt darauf hingewiesen hat, dass der Mörder von Lübcke, nämlich Stephan Ernst, schon damals im Visier des Verfassungsschutzes und des NSU-Untersuchungsausschusses war.

In der Linken gab es eine Riesenaufregung darüber, bereits letztes Jahr, dass so mir nichts Dir nichts der Aufklärung dienende Akten für 120 Jahre weggesperrt werden dürfen, ohne dass die Regierung etwas dagegen unternimmt.

Demokratie?

Davon ist der deutsche Staat noch Lichtjahre entfernt.

Weiterlesen
Charlotte Ullmann
This comment was minimized by the moderator on the site

CDU-Lübckes Äußerung (wem die Flüchtings- Asylpolitik der Regierung nicht passe, der könne ja das Land verlassen ) war im Oktober 2015.

Die sorgte damals für massive Attacken gegen ihn. Das ist aber 4 Jahre her. Was mich wundert ist, warum dieser...

CDU-Lübckes Äußerung (wem die Flüchtings- Asylpolitik der Regierung nicht passe, der könne ja das Land verlassen ) war im Oktober 2015.

Die sorgte damals für massive Attacken gegen ihn. Das ist aber 4 Jahre her. Was mich wundert ist, warum dieser Mordanschlag jetzt? Die CDU hat doch einen Kurswechsel in der Sache gemacht.

Weiterlesen
Klaus Bloemker
This comment was minimized by the moderator on the site

Die CDU hat die Maske gewechselt, nicht den eigentlichen Kurs.

Uli Gellermann
Bisher wurden hier noch keine Kommentare veröffentlicht
Lade weitere Kommentare