Seit Wochen kursierten im politischen Washington Gerüchte über einen Militärputsch in der Türkei. Ausgelöst hatte diese Vermutungen der Artikel „Could there be a coup in Turkey?“ von Michael Rubin im Blog des neokonservativen „American Enterprise Institute“. Das „American Enterprise Institute for Public Policy Research (AEI)“ ist ein reaktionärer US-amerikanischer Think Tank in Washington, D.C. und gilt als Denkfabrik jenes militärisch-industriellen Komplexes in den USA, der sich wesentlich durch die Regierungen des Bush-Clans (Vatern und Sohn) vertreten sah. Namen wie Richard Perle, Lynne Cheney und Irving Kristol sind unter den prominenten Fellows des Institut zu finden. Michael Rubin berät für das US-amerikanische Militär hochrangige Offiziere, die in den Irak oder nach Afghanistan beordert werden.

Auch wenn US-Präsident Obama anlässlich des aktuellen Putsch-Versuchs zur Unterstützung der „demokratisch gewählten“ Regierung in der Türkei aufgerufen hat, ist nicht auszuschließen, dass eine andere Fraktion der US-Herrschaften eine andere Politik in der Türkei wünscht. Die Republik Türkei ist seit 1952 Mitglied der NATO. Nahezu zeitgleich kämpfte die türkische Armee an der Seite der US-Armee im Korea-Krieg (1951-53): Rund 6.000 türkische Soldaten unterstützen den Machtanspruch der USA im Konflikt mit der Volksrepublik China. Seit dieser Zeit ist die Zusammenarbeit zwischen der US-Armee und den Türk Silahlı Kuvvetleri, den türkischen Streitkräften mehr als eng.

Die türkische Armee begreift sich selbst als Hüterin der Verfassung. Einer Verfassung, die Präsident Erdogan durch seine Angriffe auf den dort verankerten Laizismus und seine diktatorischen Ansprüche seit langem gefährdet. Im Artikel 2 der Verfassung definiert sich die Türkei als „demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat“. Nicht einer dieser Punkte entspricht der Verfassungswirklichkeit. Das hat die USA bislang nicht gekümmert. Was den Spitzen der US-Politik aber seit geraumer Zeit Sorgen macht, ist der offensichtliche Anspruch der Erdogan-Türkei das Erbe der Osmanen anzutreten. Im März 2013 ließ der damalige Außenminister Ahmet Davutoglu die osmanische Katze aus dem Sack: „Das letzte Jahrhundert war für uns nur ein Einschub. Wir werden diesen Einschub beenden. (…) Wir werden Sarajevo wieder mit Damaskus verbinden, Benghazi mit Erzurum und Batumi.“

Während die USA zum Bespiel in Syrien kurdische Kräfte unterstützte, in der Hoffnung damit die Regierung Assad zu schwächen und auf eine Spaltung des syrischen Staatsgebietes setzte, kollaborierte die Türkei mit unterschiedlichen sunnitschen Terrorgruppen, bis hin zur logistischen Unterstützung des „Islamischen Staates“. Die beiden Nato-Partner, die auf dem Stützpunkt Incirlik Air Base einsatzfähige Atomsprengköpfe unter Verfügung der USA lagern, sind längst zu konkurrierenden Kräften geworden.

Schon mehrfach hat das türkische Militär in seiner Geschichte geputscht. Der erste und gravierendste Putsch führte am 27. Mai 1960 zur Absetzung des damaligen Ministerpräsidenten Adnan Menderes und zu dessen Hinrichtung. Menderes, unter dessen Ägide das Pogrom von Istanbul inszeniert wurde, das sich gegen die griechische Minderheit in der Türkei richtete und rund 100.000 Griechen zum Exodus trieb, war zugleich ein früher Islamist. Das war auch der Hauptgrund für den Militär-Putsch: Der Versuch von Menderes, die Türkei aus dem verfassungsmässigen Laizismus zu lösen: „Wir haben“, erklärte Menderes damals, „unsere bis jetzt unterdrückte Religion von der Unterdrückung befreit. Ohne das Geschrei der besessenen Reformisten zu beachten, haben wir den Gebetsruf wieder auf das Arabische umgestellt, den Religionsunterricht an den Schulen eingeführt und im Radio die Rezitation des Koran zugelassen. Der türkische Staat ist muslimisch und wird muslimisch bleiben. Alles, was der Islam fordert, wird von der Regierung eingehalten werden.“ Wer Ähnlichkeiten zum Edogan-Regime erkennt, irrt nicht.

Der Putschversuch hat nach Angaben aus dem Bundesverteidigungsministerium "keine Auswirkungen" auf die Bundeswehrsoldaten in Incirlik. Auf dem Stützpunkt im Süden der Türkei sind derzeit 240 deutsche Soldaten stationiert. Sie beteiligen sich an den Tornado-Aufklärungsflügen gegen den "Islamischen Staat". Spätestens jetzt ist das hinrissige Gehabe der „neuen deutschen Herausforderung“ zu erkennen: An welcher Seite steht die Bundeswehr treu zu ihrem NATO-Partner? An der Seite der gewählten Regierung mit diktatorischen Ambitionen? Oder an der Seite des türkischen Militärs, das zumindest mit der Billigung einer US-Fraktion in Washington gerade versucht hat zu putschen? Die Wahl wird der Regierung Merkel nicht schwer fallen. Wer soll und kann den Job übernehmen, die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten an ihrer Reise in die EU zu hindern? Das ist die Seite auf der die Kanzlerin steht.

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Das nenne ich top aktuellen und tiefgründigen Journalismus. Man könnte meinen, Uli Gellermann habe bereits vor Tagen von der Vorbereitung dieses Putsches in der Türkei gewusst. Wie anders sind die tiefgründigen Recherchen zu erklären, die ihn in...

Das nenne ich top aktuellen und tiefgründigen Journalismus. Man könnte meinen, Uli Gellermann habe bereits vor Tagen von der Vorbereitung dieses Putsches in der Türkei gewusst. Wie anders sind die tiefgründigen Recherchen zu erklären, die ihn in die Lage versetzen, die Hintergründe des Putsches, der bei Spiegel online als "Aufstand" bezeichnet wird, zu erklären.
Danke Uli.
Nach vielen Versuchen, heute morgen in den Mainstream-Medien fundierte Informationen über den Putsch zu erhalten, fand ich erst bei der Rationalgalerie eine befriedigende Antwort.

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Jürgen Heiducoff
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Der Artikel bringt Licht ins Dunkel, und zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist: Sachlich, klug, wissend und umfassend , mit Haltung und Mumm informiert zu werden.
Beunruhigend, was da alles auf uns zu kommen wird, und eine Antwort braucht.
Der...

Der Artikel bringt Licht ins Dunkel, und zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist: Sachlich, klug, wissend und umfassend , mit Haltung und Mumm informiert zu werden.
Beunruhigend, was da alles auf uns zu kommen wird, und eine Antwort braucht.
Der Wunsch nach Sicherheit und dem "starken Mann" ist dem deutschen Volk nicht unbekannt.
Politik und Religion, ist eine explosive Mischung. In dem Fall trägt beides zur Unterdrückung des Volkes bei, doch die Erscheinungsebene zeigt etwas anderes. Bislang sind die Macht- und Kräfteverhältnisse in der Türkei noch eindeutig auf Seiten derer, die Demokratie, Menschenrechte, Selbstbestimmung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen, und die NATO ist an der Seite des Kurdenschlächters Erdogan, wenn auch noch im Hintergrund. Die Verträge lassen diesbezüglich keinen Zweifel zu. --
Menschlich verständlich, das Sicherheitsbedürfnis, einiger Menschen im Land, doch die Entwicklung unseres Landes, nach 1945 lässt mehr als Zweifel zu, dass die Regierung Adenauers:
keine Experimente, dem Volk, und der Entwicklung des Landes förderlich waren.
Merkel, wird die "demokratisch gewählte Regierung" unterstützen. Sie braucht den Despoten für ihre dreckige Geflüchtetenpolitik.
Die fortschrittliche Kräfte in der Türkei werden nun "vogelfrei" mit Unterstützung der Regierung verfolgt, gejagt und gequält im Namen deren, denen nichts mehr verhasst ist
als Demokratie und Menschenrechte. Eine abschließende Einschätzung habe ich noch nicht, doch die Frage bleibt, mal wieder:
"Wem nutzt das?" Mit dieser Frage muss sich beschäftigt werden.
Wir müssen nur aufpassen, dass die Herrschenden in der Welt, die Macht- und Kräfteverhältnisse nicht noch mehr zu ihren Gunsten verschieben, und die Arbeiterbewegungen überrollt werden.

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Ulrike Spurgat
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Vielen Dank für Ihre Informationen. Ich schließe mich Herrn Heiducoff an.
Da Ihren Informationen folgend nichts mehr im Westen ohne Billigung oder Veranlassung von entscheidenden Kräften in den USA geschieht (und es viele Beweise dafür gibt),...

Vielen Dank für Ihre Informationen. Ich schließe mich Herrn Heiducoff an.
Da Ihren Informationen folgend nichts mehr im Westen ohne Billigung oder Veranlassung von entscheidenden Kräften in den USA geschieht (und es viele Beweise dafür gibt), lasse ich meine Hoffnung auf einen erfolgreichen Putsch fallen. Ich dachte nämlich spontan an den Putschversuch unter Hugo Chavez 1992, der mißlang, aber 1999 durch Wahl zum Erfolg wurde. Die türkische Bevölkerung lässt auf diesem Weg wohl wenig Hoffnung zu? Hahnebüchen, aber bezeichnend, ist, dass die türkische Regierung als legal gehandelt wird, nicht aber von denselben Kräften die syrische Regierung.

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Elke Zwinge-Makamizile
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Danke, lieber Uli, für diese fundierte Recherche. Mir bleibt als Frage noch, ob die Gülen-Bewegung bei dieser Putsch-Situation zusätzlich eine Rolle gespielt haben könnte. Gülen selber hat ja eine Beteiligung dementiert.

Werner Köpp
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Dass Fethullah Gülen, der aus der selben religiösen Kiste kommt wie Erdogan, mit Laizisten gemeinsame Sache machen könnte ist schwer vorstellbar.

Uli Gellermann
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Hut ab, Uli, das ist vom Feinsten und wir schließen uns Jürgen Heiducoff gerne an. Ein schnelle, umfassende Analyse, die einen besser verstehen läßt, was da gerade läuft.

Christel Buchinger und Thomas Hohnerlein
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Danke für diese
erhellend präzise
Systemanalyse.

Es ist verstörend, angesichts
der Toten zu sehen
und zu verstehen:
Dem Meinungsterror graut vor nichts.

Lutz Jahoda
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DANKE DANKE DANKE !
Da wir normal Sterblichen keine Kontakte zu Außerirdischen -s.Juncker - haben , bin ich immer wieder glücklich, deine Artikel lesen zu können ! Das macht die Sache zwar nicht besser, aber durchschaubarer! Gut, dass es dich gibt!

Siera
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ABZÄHLREIM
FÜR THINKTANK-VERSTEHER

Don´t be in fear,
let us look clear,
it´s not an error,
die ThinkTank-Kerle,
rings um Herrn Perle,
lieben den Terror.

Selbst wo keiner ist -
für die keineswegs Trägen,
ist es ein Kinderspiel,
welchen zu legen.
Im Fall der...

ABZÄHLREIM
FÜR THINKTANK-VERSTEHER

Don´t be in fear,
let us look clear,
it´s not an error,
die ThinkTank-Kerle,
rings um Herrn Perle,
lieben den Terror.

Selbst wo keiner ist -
für die keineswegs Trägen,
ist es ein Kinderspiel,
welchen zu legen.
Im Fall der Türkei
war er passend vorhanden.
Zeit für die Oldies,
ihren Deal dort zu landen.

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Lutz Jahoda
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Sorry, aber dem Imperialismus nutzt der Putschversuch wohl kaum. Anders als der Putsch 1980 mit Rückendeckung eines NATO-Manövers, bei dem anschließend die Regierung Helmut Schmidt die Finanzierung der Junta übernahm. Damals war die Türkei ein...

Sorry, aber dem Imperialismus nutzt der Putschversuch wohl kaum. Anders als der Putsch 1980 mit Rückendeckung eines NATO-Manövers, bei dem anschließend die Regierung Helmut Schmidt die Finanzierung der Junta übernahm. Damals war die Türkei ein Testgebiet des Monetarismus und eine hoch aktive Gewerkschaftsbewegung mußte dafür zerschlagen werden.
Unter Erdogan hilft die Türkei beim Krieg gegen die syrische Regierung, dient FRONTEX bei entsprechender Bezahlung ganz brav und pöbelt auch gegen Israel nur symbolisch. Ein Putsch ist da vermutlich der Versuch einer Revanche der spätestens mit der Ergenecon-Affäre abgehalfterten Cliquen des Militärs. Und diesem Militär dürften die Lohnabhängigen völlig schnurz sein. Aber vor einer endgültigen Analyse würde ich Stellungnahmen der DHKP-C oder einer der PKK-Fraktionen abwarten. Leider sind all diese Organisationen auch in der BRD verboten und können nicht in der Tagesschau interwievt werden.

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dario vo
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Gute Analyse.

Aber Haaretz, Israel stellt die Frage: "How did the various Turkish intelligence services not learn of the plans to orchestrate a coup?"

Das American Enterprise Institue hat so was vermutet - Erdogans Geheimdienst ist aber davon...

Gute Analyse.

Aber Haaretz, Israel stellt die Frage: "How did the various Turkish intelligence services not learn of the plans to orchestrate a coup?"

Das American Enterprise Institue hat so was vermutet - Erdogans Geheimdienst ist aber davon überrascht worden?

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Klaus Bloemker
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