Welch eine leere Idee: Komm mal eben in die SPD, stimme gegen deren erneuten GroKo-Versuch, dann kannste beruhigt wieder austreten. Das empfehlen die Jusos in NRW und anderswo. Selbst die tapferen Gegner einer erneuten großen Koalition in der SPD bedienen sich der fatalen politischen Rhetorik ihrer Gegner: Das Schlimmste soll durch ein kleineres Übel verhindert werden, tritt ein, damit der Ausstieg aus der tödlichen Koalitions-Spirale möglich wird, komm doch zur Beerdigung der SPD, nirgendwo schmeckt der Zer-Streuselkuchen besser. – Gegen die GroKo eintreten. Gut. Aber wofür? Für eine echte Bürgerversicherung, für den Stop aller Rüstungs-Exporte, sogar für eine neue Mieter-Politik ließen sich Partner finden. Wahrscheinlich nicht bei der CDU. Aber auch mit einer klaren, inhaltlichen Absage könnte man in alternative Kämpfe ziehen, sogar in Wahlkämpfe.

Die SPD stirbt – Umfragen sehen sie unter 20 Prozent – mit ihr stirbt ein Stück alter Bundesrepublik. Aber wer auf dieser Beerdigung tanzen will, der sollte ich fragen, wer die Musik bezahlt. Den Taktstock schwingen die Bertelsmänner und Denkfabriken wie die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, deren händereibender Chef Hubertus Pellengahr vielen sozialdemokratischen Funktionären aus der neuen Klasse der Verwaltungs-Angestellten zum Verwechseln ähnlich sieht: „Die eigentlichen Leistungsträger der Parteiorganisation sind nicht mehr die ehrenamtlichen Funktionäre sondern die Mandatsträger aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitik, die SPD wird zunehmend zu einer ’Fraktionspartei’, schreibt die „Bundeszentrale für politische Bildung“. Und wer die alerten Schlipsträger am Rande sozialdemokratischer Versammlungen sieht, der könnte sie auch für Teilnehmer an einem Start-up-Seminar halten: Viel up, kein Start.

Mit dem Verschwinden der industriellen Arbeit verschwände eben auch die personelle Basis der SPD, teilen uns Denker mit gefurchter Stirn mit. „Roboter haben in Deutschland noch keinen Job vernichtet“, vertraut uns die ZEIT an. Das Blatt der Oberstudienräte stützt sich bei dieser fundamentalen Erkenntnis auf ein „Düsseldorf Institute for Competition Economics“, das ein Milliardär aus der Pharma-Wirtschaft sponsert. Und so darf auf keinen Fall die Frage nach den Profiteuren der Rationalisierung gestellt werden. Denn in den Rationalisierungen der letzten Jahrzehnte ist auch der Schwund der sozialdemokratischen Basis zu begreifen. Vertieft und verstärkt wurde und wird der Verlust an echten Arbeitsplätzen durch die von der Schröder-SPD initiierte Fragmentierung der Arbeit: Aufstocker, Leiharbeiter oder Hartzer sind ungleich schwerer zu organisieren und für die eigenen Interessen zu mobilisieren, als die klassische Industriearbeiterschaft.

Doch statt sich konzentriert den immer noch 44,7 Millionen abhängig Beschäftigten und ihren genuinen sozialen Wünschen zu widmen, erleben wir eine SPD, deren Hauptsorge sich im Postengerangel erschöpft: Es geht um einen echten „Ressort-Skalp“ weiß die „Tagesschau“ und nennt das Finanzministerium als wesentliche Trophäe im Kampf um den besseren Platz auf der Regierungsbank. Denn für „eine andere Europapolitik, sei kein anderes Ressort so wichtig wie das Finanzministerium.“ Häh? Welche andere Europapolitik für wen? Und als „erster Kandidat der SPD für diesen Job gilt der Mann, der seit Jahren die großen Finanzthemen für die SPD-Länder mit Angela Merkel verhandelt: Olaf Scholz.“ Schulz oder Scholz, was solls? Nur so kann der Kommentar der Obdachlosen, der verdrängten Mieter, der prekär Beschäftigten lauten. Ihre elende Lage wird sich weder mit dem einen, noch dem anderen ändern.

An der absichtsvollen Verwechslung von eigener Karriere und gesellschaftlicher Barriere wird die SPD einen unschönen, weil quälenden Tod sterben. Man wird weniger die SPD vermissen als so manchen sozialdemokratischen Genossen: Den Betriebsrat, der einem die Lohnabrechnung erklärte. Den Gewerkschafter, mit dem man gegen den Irak-Krieg demonstriert hat. Die Frau von der AWO, die der Familie den Kita-Platz beschaffen konnte. Genau an diesen Schnittstellen war die SPD Volkspartei. Eine Rolle, die jetzt die AfD einnehmen will: „Wir lösen die SPD als Volkspartei ab“, twitterte Alice Weidel, die Unternehmensberaterin von der AfD. Und warum sollte diese Beraterin nicht die Unternehmens-Beraterin Annette Fugmann-Heesing ablösen, einst SPD-Finanzministerin in Berlin und Hessen. Für die soziale Lage der abgehängten Beschäftigten spielt es keine Rolle, ob eine asoziale Politik mit der eurokratischen oder der nationalistischen Phrase garniert daher kommt.

"Ganz klar, in eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten." Martin Schulz am 25.09.2017 auf einer Pressekonferenz.

ULI GELLERMNANN
INTERVIEW
ZUR MACHT UM ACHT!
https://kenfm.de/ulrich-gellermann/

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Herr Gellermann hat es mit dem Tod. Erst schreibt er über den Suizid der Linkspartei, jetzt stirbt bei ihm die SPD. Dieser morbide Zug liegt sicher an seinem Alter.

Ralf Habermann
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Gellermann und Jebsen werfen sich beim Interview zur "Macht um acht" die Bälle zu als seien sie ein eingespieltes Team. Es ist ein Vergnügen ihnen dabei zuzusehen.

Rita Wiedemann
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Lieber Uli,

zwanzig Daumen hoch für diese realistische Einschätzung. Die SPD hat abgefressen und mit ihrem vermeintlich neuen Guru ist kein Blumentopf zu gewinnen. Kevin (allein in der SPD-Grube) hat zwar einen etwas anderen Wortschatz als die...

Lieber Uli,

zwanzig Daumen hoch für diese realistische Einschätzung. Die SPD hat abgefressen und mit ihrem vermeintlich neuen Guru ist kein Blumentopf zu gewinnen. Kevin (allein in der SPD-Grube) hat zwar einen etwas anderen Wortschatz als die alten SPD Kader aber er sagt nichts. Er klingt wie ein Revoluzzer für Beamte. Nichts lässt er über sozialdemokratische Grundsätze, welche die vor gefühlten Äonen von Jahren mal hatten, verlauten. GroKo (Großes Kotzen) hin oder her, selbst die Nachwüchslinge haben nichts begriffen. Da kann er noch so rumtönen und den Aufstand proben, am Ende wurde nichts gesagt.
Im Übrigen habe ich mir das Interview mit Ken Jebsen (Die Macht um acht) angesehen und fand jede
Sekunde lohnenswert und spannend. Danke!

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Moyra Mangold
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"komm doch zur Beerdigung der SPD, nirgendwo schmeckt der Zer-Streuselkuchen besser", zu köstlich!

Manne Klein
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....und Sie, Herr Habermann, sind sicher schon lange jenseits des Lebens und der klaren Erkenntnis

Moyra Mangold
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REQUIEM

Schulz oder Scholz
Da hilft kein Gut Holz
Zwei hilflose Herren
Sie zerren und sperren
Und schießen Kobolz
Zur Wallfahrt der Talfahrt
Ins Abgewatsche
SPD - adé
Requiescat in pace!

Lutz Jahoda
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Wenn sich eine Partei, von der mit Recht zukunftsgerichtete Gestaltungskompetenz erwartet wird, in die Hände von Werbeagenturen begibt, deren Job nichts als die phantasielose Vermarktung von Gegenwart ist, begeht sie politischen Selbstmord.
Ist...

Wenn sich eine Partei, von der mit Recht zukunftsgerichtete Gestaltungskompetenz erwartet wird, in die Hände von Werbeagenturen begibt, deren Job nichts als die phantasielose Vermarktung von Gegenwart ist, begeht sie politischen Selbstmord.
Ist die Agentur gut, kann sie das Sterben verlangsamen. Eine spedierte Partei sichert immerhin noch Jobs in der Gegenwart. Junge Menschen, denen eine Sicherung des Rentenniveaus bis 2025 nicht ausreicht, stören den friedvollen Dämmerzustand erheblich.

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Heinz Schneider
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Bei Erwähnung der Bertelsmänner bitte nicht die Bertelsfrauen der Mohn-Clique vergessen. Überhaupt: die schwarzen Witwen (z. B. Springer)! Andrerseits: Lassen wir das Personalisieren! Die Charaktermasken und -larven besorgen die Geschäfte des...

Bei Erwähnung der Bertelsmänner bitte nicht die Bertelsfrauen der Mohn-Clique vergessen. Überhaupt: die schwarzen Witwen (z. B. Springer)! Andrerseits: Lassen wir das Personalisieren! Die Charaktermasken und -larven besorgen die Geschäfte des Kapitals. Und hier liegen der Hund und die SPD (und die Demokratie) begraben. Requiescat in bello!

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Paulo H. Bruder
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Seit die SPD-Führung sich nach der Wahl 2013 für die neuerliche GroKo und gegen die Alternative entschied lautet meine Prognose, dass die SPD bei den folgenden Wahlen erst unter 20, dann 15, 10 und schließlich 5 Prozent kommen würde. Irgendwann...

Seit die SPD-Führung sich nach der Wahl 2013 für die neuerliche GroKo und gegen die Alternative entschied lautet meine Prognose, dass die SPD bei den folgenden Wahlen erst unter 20, dann 15, 10 und schließlich 5 Prozent kommen würde. Irgendwann um 2030 macht dann der letzte SPD-Vorsitzende den Deckel über der Partei zu. Als Text für dem Grabstein schlage ich vor: "Wir haben über Jahrzehnte unsere eigenen Interessen ver- und die der Bürger mit Füßen getreten; man hat es uns nicht gedankt. Unfassbar!"

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M. Boettcher
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Ob Schäuble, Schulz oder Scholz - ist alles Sch?

So könnte der Kommentar des prekär Beschäftigten und Ausgebeuteten auch lauten.

Und dazu: Auch bei den anderen Buchstabenkombinationen (um „Personen" zu vermeiden) gibt es nirgends einen...

Ob Schäuble, Schulz oder Scholz - ist alles Sch?

So könnte der Kommentar des prekär Beschäftigten und Ausgebeuteten auch lauten.

Und dazu: Auch bei den anderen Buchstabenkombinationen (um „Personen" zu vermeiden) gibt es nirgends einen Lichtblick.

Der Räuberkapitalismus ist heute weltweit ein so fest verwurzeltes Übel, dass ich mir ein Ende dieses Wahnsinns durch „Nachbesserungen" überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Am ehesten noch könnte eine - dann aber blutige - Revolution aus dem Land kommen, von wo aus der ganze Raubzug wesentlich betrieben wurde und wird - den USA. Die abgehängten US-Amerikaner werden bald merken, dass auch die Trump-Figur nicht ihre Interessen vertritt, mag er gegen das ?Establishment? so viel anfurzen, twittern -und rülpsen wie er will.

Bei uns Deutschen sehe ich da bei den Massen eher gar nichts an Zorn, oder allenfalls faschistoides Gegrummel mit entsprechender Parteienwahl.

Leider gibt es mittlerweile keinen Ort mehr auf dem Planeten, wohin man auswandern könnte. Die Arme der Krake reichen überall hin.

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Des Illusionierter
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