Deutsche Medienkonsumenten sind hart im Nehmen: Sie leben mit konsturierten Feindbildern, die der Wirklichkeit im Wege stehen, sie kennen von ihren Journalisten schwere Wahrnehmungsverluste, sie leben auch mit Nachrichtenverweigerungen wenn die jeweiligen Neuigkeiten in den Redaktionen nicht erwünscht sind. Doch in diesen Tagen erlebt man, rund um die jüngste türkische Diktatur, eine tragische Medien-Krankheit: Die schwere NATO-Blindheit. Das neueste traurige Beispiel ist der einst geschätzte Heribert Prantl von der SÜDDEUTSCHEN. Der schafft es in zwei langen Kommentarspalten über die türkische Despotie weder das Wort NATO noch den Namen Merkel ein einziges Mal zu erwähnen. Obwohl die Türkei als ein bewährterr Partner des westlichen Militärbündnisses gilt und Frau Merkel nicht nur Chefin des NATO-Partners Deutschland ist, sondern auch noch einen schmutzigen Deal mit dem Diktator Erdogan zu laufen hat.

„Sein besonderes Augenmerk“, schreibt ein wohlmeinender Autor über Heribert Prantl bei WIKIPEDIA, „richtet sich auf die Schnittlinien von Recht, Moral und Politik.“ Und tatsächlich kannte der ehemalige Richter Prantl, als er noch hautsächlich über Innenpolitik schrieb, mitten in der atlantisch formierten SÜDDEUTSCHEN die Kategorien Recht und Moral. Was mag das jetzt für eine Moral sein, die gründlich und detailliert die frische Diktatur in der Türkei beschreibt, aber diesen Satz aus der Präambel des NATO-Vertrages nicht zu kennen scheint: „Sie (die NATO-Partner) sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Kulturerbe ihrer Völker, gegründet auf die Prinzipien der Demokratie, auf die Freiheit des einzelnen und die Grundsätze des Rechts, sicherzustellen.“ Welches Prinzip der Demokratie wird mit den türkischen Massenverhaftungen gerade durchgesetzt werden? Welcher Rechtsgrundsatz wird mit der Ausschaltung der mißliebigen Justiz in der Türkei wohl zur Zeit sichergestellt? Wie erklärt sich die Abschaffung der Pressfreiheit in der Türkei mit der vorgeblichen Entschlossenheit der NATO für die Freiheit zu kämpfen?

"Die Türkei ist Teil einer Wertegemeinschaft", erklärt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ohne zu lachen. "Es ist entscheidend, dass die Türkei - wie alle Alliierten - den vollen Respekt vor der Demokratie und ihren Institutionen sicherstellt. Den Respekt vor der Verfassung, dem Rechtsstaat und den Grundfreiheiten." Brav geben deutsche Medien dieses geheuchelte Glaubensbekenntnis wieder, keiner aus der Wertegemeinschaft qualifiziert den Generalsekretär als Lügner. Obwohl jeder weiß: Dieser Satz ist eine routinierte Verbeugung vor einer Schimäre. Außenminister Frank-Walter Steinmeier kommt der Sache schon näher: "Der Blick auf die Landkarte lehrt uns: Da ist nicht nur Syrien, da ist auch der Irak.“ Nahe dran, denn in den genannten Ländern regieren die US-Kriege, ein alter und ein neuer, die verwaltet werden müssen und vom türkischen Nato-Stützpunkt Incirlik aus sachkundig bestritten werden. Doch nicht nahe genug, da kommt die „Bundeszentrale für politische Bildung“ der strategischen Wahrheit deutlich näher wenn sie schreibt: „Die Türkei liegt an der Schnittstelle von Nahem Osten, Kaukasus und Südosteuropa.“ Von dort aus ist der Iran militärisch zu bedrohen. Von dort aus ist die Meerenge des Bosporus zu kontrollieren, das Schwarze Meer zu sperren und der russischen Konkurrenz das Mittelmeer zu verweigern.

Als 1980 der dritte Militärputsch in der modernen Türkei mit einer diktatorischen Regierung, geführt vom General Kenan Evren, faktisch bis ins Jahr 1989 andauerte, war weder aus der Bundesrepublik noch vom NATO-Partner USA ein Ton des Protestes zu hören. Im Gegenteil: Die Todesurteile, die Folterungen, die Massenverhaftungen wurden von der totalen NATO-Demokratie geheiligt: Ende 1981 wurde ein türkisch-amerikanischer Verteidigungsrat gegründet, mit dem die USA die Stationierung der „Spezialeinheit Schnelle Eingreiftruppe“ (Rapid Deployment Force) besonders in Ostanatolien vorantrieb. Oder wie es der damalige Berater des Nationalen Sicherheitsrates in den USA dem US-Präsidenten Carter unmittelbar nach dem Putsch brav meldete: „Our boys did it“. Ja, sie machten es, die türkischen Jungs. So wie es Erdogan heute macht. Oder, wie es Anthony Skinner, Experte für türkische Innenpolitik und Berater bei der privaten Sicherheitsfirma Verisk Maplecroft, jüngst strahlend der BILD-Zeitung erklärte: „In der türkischen Armee gibt es Tausende Individuen, die nicht an dem Putsch beteiligt waren, und qualifiziert sind, nachzurücken.“ Nur wer die westlichen Geheimdienste beliefert, kann die NATO-Qualität der türkischen Armee so kühl und siegesgewiss beurteilen.

Kaum einer der deutschen Redakteure mag für einen einzigen Moment erwägen, dass man über die fatale NATO-Gemeinschaft mal wieder zum Partner einer unverhüllten Diktatur geworden ist. Leute wie Heribert Prantl – er ist Dozent an den Journalistenschulen in Hamburg und München, Mitglied des Ethikrates der Hamburger Akademie für Publizistik und Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland – machen sich durch ihr Schweigen zum Feigenblatt des schmutzigen Merkel-Deals mit der Türkei. Dass jene die schweigend zustimmen, dass deren Geschreibe über Freiheit und Demokratie eben nur Lippenbekenntnisse sind, würden sie jederzeit empört zurückweisen. Husch, husch ins Maulkörbchen, ist die Devise der ach so freien Medien, wenn es um Krieg und Frieden geht.

Kommentare (22)

Einen Kommentar verfassen

0 Zeichen
Leserbriefe dürfen nicht länger sein als der Artikel
Anhänge (0 / 3)
Deinen Standort teilen
Gib den Text aus dem Bild ein. Nicht zu erkennen?
This comment was minimized by the moderator on the site

Der Seelenverkäufer! - ich hoffe er LIEST das!

Brigitte Klara Mensah-Attoh
This comment was minimized by the moderator on the site

Sehr geschätzter Herr Galerist,
irre ich mich, oder sind Maulkörbe nicht eigentlich für bissige Hunde vorgesehen, damit die Menschen vor ihnen sicher sind ?
Wieso gibt es nun auch Maulkörbe für zahnlose Papiertiger der schreibenden Zunft. Die...

Sehr geschätzter Herr Galerist,
irre ich mich, oder sind Maulkörbe nicht eigentlich für bissige Hunde vorgesehen, damit die Menschen vor ihnen sicher sind ?
Wieso gibt es nun auch Maulkörbe für zahnlose Papiertiger der schreibenden Zunft. Die beißen doch schon sehr lange nicht, sie bellen ja nicht einmal mehr!
Außerdem wären sie auch ausgesprochen dämliche Hunde, wenn sie die Hand beißen würden, die sie füttert! So gesehen unterschätzen Sie deren Intelligenz.
Der Unterschied zu früheren Zeiten besteht nur darin, dass ihre zahnlosen Mäuler immer deutlicher zu erkennen sind. Allerdings auch das nur für jene Menschen, die sich ihre Erkenntnisfähigkeit bewahrt haben im Dschungel der verkommenen bürgerlichen Medien.

Weiterlesen
Aleksander von Korty
This comment was minimized by the moderator on the site

Was soll die Aufregung? Das Atlantikerblatt SZ hat doch schon immer die NATO für einen demokratischen Gesangsverein gehalten. Ich kann hier nichts Neues entdecken.

Jasper Schultes
This comment was minimized by the moderator on the site

Die SZ steht in diesem Fall für die nahezu komplett Medienlandschaft, der es selbstverständlich erscheint, dass man mit einer Diktatur im selben Verein ist. Und Prantels Abstieg ist schon mehr als nur die Fortsetzung der bisherigen SZ-Linie. Der...

Die SZ steht in diesem Fall für die nahezu komplett Medienlandschaft, der es selbstverständlich erscheint, dass man mit einer Diktatur im selben Verein ist. Und Prantels Abstieg ist schon mehr als nur die Fortsetzung der bisherigen SZ-Linie. Der Mann galt lange Zeit als relativ integer.

Weiterlesen
Uli Gellermann
This comment was minimized by the moderator on the site

Stimmt leider. Ich habe (immer noch) große Wertschätzung für Heribert Prantl, aber hier ist er wohl eingeknickt.
Man stelle sich den Aufschrei vor, wenn es sich um Putin statt um Erdogan handelte!

M. Hamburger
This comment was minimized by the moderator on the site

WIE SAGE ICH ES NUR MEINEM KINDE?
WO GELD GEZÄHLT WIRD; SEHEN AUCH BLINDE.
DOCH WAS ICH NOCH VIEL SCHLIMMER FINDE:
DIE ALTE ERKENNTNIS AUS MEINER KINDHEIT:
NICHT SEHEN WOLLEN, IST DIE ÜBELSTE BLINDHEIT.

Lutz Jahoda
This comment was minimized by the moderator on the site

Es ist ZU gut, dass Uli Gellermann den Zeichen der Zeit immer ganz schnell auf die Spur kommt und mit vielen Fakten das erhärtet, was ich z.B. wie im Falle von Prantl am Rande nur mitkriege. Da habe ich "Magengegrummel" bekommen als ich Prantl in...

Es ist ZU gut, dass Uli Gellermann den Zeichen der Zeit immer ganz schnell auf die Spur kommt und mit vielen Fakten das erhärtet, was ich z.B. wie im Falle von Prantl am Rande nur mitkriege. Da habe ich "Magengegrummel" bekommen als ich Prantl in einer Talk-Show erlebte, eben genauso mit dem ehemaligen positiven Image behaftet. Wirklich schade. Aber es kommen andere Intellektuelle in die Gänge! Angenehm überrascht war ich über Rolf Hochhuth und seinem Ausstieg aus der Nato.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Rationalgalerie in dieser Hinsicht Mut machen kann und Mut zu Positionierungen mit auf den Weg bringt.

Weiterlesen
Elke Zwinge-Makamizile
This comment was minimized by the moderator on the site

Heribert und Recht und Moral !? Der weiß nicht mal wie man das schreibt.Einer der übelsten Zeitgenossen. Wir sind im Jahre 32 n.Orwell .Unrecht ist Recht, Lüge ist Wahrheit, Krieg ist Frieden etc.

Manfred Caesar
This comment was minimized by the moderator on the site

Das Verschweigen oder das Verleugnen der Wahrheit ist eine wichtige Ursache dafür, dass die meisten unserer Medien für die beinah allgemein und landläufig richtig festgestellte Eigenschaft "Lügenpresse" in Frage kommen.
Doch merke: "Die...

Das Verschweigen oder das Verleugnen der Wahrheit ist eine wichtige Ursache dafür, dass die meisten unserer Medien für die beinah allgemein und landläufig richtig festgestellte Eigenschaft "Lügenpresse" in Frage kommen.
Doch merke: "Die Verdrängung, die Unehrlichkeit gegen sich selbst, ist verhängnisvoller als die Anerkennung des Bösen, aus der heraus stets eine Umkehr möglich ist."

Weiterlesen
Detlef Mitscherling
This comment was minimized by the moderator on the site

Eine gelungene Zusammenfassung der kommenden Katastrophe, Clinton wurde von Monika L. Praktisch und Faktisch weggeblasen, die Politik von Friedensnobelpreisträger Bush Senior samt Sprößling wirken in negativer Form bis Heute und für die Zukunft...

Eine gelungene Zusammenfassung der kommenden Katastrophe, Clinton wurde von Monika L. Praktisch und Faktisch weggeblasen, die Politik von Friedensnobelpreisträger Bush Senior samt Sprößling wirken in negativer Form bis Heute und für die Zukunft nach. Friedensnobelpreisträger und US-Präsident Richard Nixon brachte in den 70ger Jahren das internationale Handels und Währungsabkommen (Bretton-Woods-System) zu Fall. England samt Pfund sind aus der EU ausgetreten und ich darf in Deutschland nicht mehr Allauh Akbar sagen sonst bin ich Verdächtigt ein Terrorist zu sein, das schreiben oder sagen die Medien und das ist Unglaublich!

Grüß Gott bleibt erlaubt?!

Nicht Verdächtigt aber Gültig sind TTIP und CETA als Abkommen und das Außerparlamentarisch und am Formellen vorbei, - aber jetzt Vertragsdetail.

Weiterlesen
Ulrich Fiege
This comment was minimized by the moderator on the site

"Die Türkei ist Teil einer Wertegemeinschaft", erklärt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ohne zu lachen."

Das Besondere an diesem Satz Stoltenbergs ist ja, daß er mehrere Ebenen hat. Zunächst einmal, daß die Charaktermaske wieder mal ein...

"Die Türkei ist Teil einer Wertegemeinschaft", erklärt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ohne zu lachen."

Das Besondere an diesem Satz Stoltenbergs ist ja, daß er mehrere Ebenen hat. Zunächst einmal, daß die Charaktermaske wieder mal ein Warenangebot in die Auslage für Meinungen rumd um den Begriff Wert legt. Denn Stoltenberg ist ein ehrenwerter Mann

Ob und was da nun in dieser Verpackung drin ist, bleibt wie immer in jedem Falle offen, im deutschen bleibts mal wieder "Jedem das Seine", nur diesmal auf türkischem Blut und Boden.

Schäuble nennt diesen türkischen Wert "löblich" und meinte damit Erdogans Versprecher, daß nach den drei Monaten Machtergreifung alles wieder heil werde.
Denn Schäuble ist ein ehrenwerter Mann.

Was ficht einen da so Kleinkram wie die realen Verhältnisse in der Türkei an, wenn man über ehrenwerte Gemeinschaften und hehre Ziele parlieren kann, z.B:
90 taktische Atomwaffen in Incirlik (klingt auch schön wie der Titel eines Landser-Groschenromans),
Bollwerke gegen Flüchtlingswellen oder, mal wieder,
deutscher Mehrwert durch Waffen- und sonstigem Handel mit Erdogan.
Denn Erdogan ist ein ehrenwerter Mann.

Die Türkei liegt an der Schnittstelle von Wert und Mehrwert.

Weiterlesen
Ernst Blutig
Bisher wurden hier noch keine Kommentare veröffentlicht
Lade weitere Kommentare