Die Medienwelt ist ungerecht. Während alle Welt über die NSA-Spionage-Affäre debattiert oder über die deutschen Koalitionsverhandlungen, tut sich auf dem internationalen Parkett Revolutionäres und Bedeutendes ohne große Medienresonanz: Spanien hat gerade ein Ölkännchen-Verbot erlassen. Und unsere Kanzlerin hat zeitgleich in der NSA-Bundestagssitzung eine echt bedeutsame Regierungserklärung abgegeben. Nicht zur NSA, nein, zum kommenden EU-Gipfel "Östliche Partnerschaft" in Vilnius. Das revolutionäre spanische Ölkännchen-Verbot wäre beinahe im Frühjahr schon in der gesamten EU eingeführt worden. Begründet wurde es damals mit Hygiene-Argumenten. Man wolle in den europäischen Restaurants nur Öl in Einwegflaschen gestatten. Das Öl sei dann immer frisch und nicht schon von tausend fremden Fingern betatscht. Weg mit dem ekligen Mehrweg-Kännchen! Nachdem die EU schmählich versagte, führte Spanien das Verbot im Alleingang ein. Zwar hat Spanien seine Banken-Krise immer noch nicht im Griff, seine Schulden wachsen, aber seine Olivenöl-Industrie dürfte mit der befohlenen Einwegflasche bald mehr Gewinne einfahren: Häufiger Öl-Wechsel steigert den Verbrauch.
Um Gewinne geht es auch bei der "Östlichen Partnerschaft". Sechs ehemalige Sowjetrepubliken - Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Ukraine und Weißrussland - sollen Partner der EU werden. Das wäre ein netter Zugewinn für den Einflussbereich der Europäischen Union. Vor allem aber für den von Frau Merkel in ihrer Rede apostrophierten "Freihandel". Freihandel ermöglicht die Freiheit, den deutschen Export auszudehnen. Das ist gut für die Wirtschaft. Und was gut ist für die Wirtschaft, das kann man in Spanien beobachten: Mehr Öl-Umsatz durch bessere Gesetze. Auch deshalb rät die Kanzlerin den "Östlichen Partnerländern", sie mögen doch ihre Gesetze in Ordnung bringen. Denn im Wort Freihandel steckt ja auch das Wort Freiheit. Deshalb verlangt Merkel "eine erfolgreiche Transformation unserer Partnerländer". Von was zu was transformieren? Natürlich von noch nicht so demokratischen Ländern zu wirklich total demokratischen Ländern. Und dann geht sie fast alle Kandidaten für eine mögliche Partnerschaft durch, verteilt Zensuren, so als halte sie ein Seminar zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ab.
Manchmal ist das, was nicht gesagt wird, wichtiger als das Gesagte. Und so benotet die Kanzlerin alle Länder, nur nicht das östliche Partnerland Aserbaidschan. Dabei gibt es dort, darin Spanien ähnlich, jede Menge Öl. Nicht in Kännchen, sondern in pipelinetauglichen Mengen. Und es gäbe jede Menge zu benoten: Der jetzige Präsident ist seinem Vater im Amt gefolgt, die Wahlen werden von der OSZE als "nicht frei und fair" bezeichnet. "Reporter ohne Grenzen" ordnet Aserbaidschan auf ihrer Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 152 ein (noch hinter Afghanistan) und so fort. Allerdings besticht Aserbaidschan durch seiner Gastlichkeit. Seit dem Eintritt des Landes in den Europarat wurden "jedes Jahr 30 bis 40 EU-Abgeordnete auf Reisen nach Aserbaidschan eingeladen und mit Gastgeschenken, darunter teurem Kaviar (Kilopreis 1400 Euro), wertvollen Seidenteppichen, Gold, Silber und mit hohen Geldbeträgen überhäuft. Auch zahlreiche Abgeordnete des deutschen Bundestages ließen sich luxuriöse Reisen nach Baku finanzieren und fungierten in Gegenleistung als Lobbyisten", schreibt WIKIPEDIA der Kanzlerin ins Poesiealbum. Aber sie liest es nicht. Wohl deshalb kein Wort dazu in ihrer Regierungserklärung.
Schließlich hätte die geplagte Frau sich mit so demokratischen Ländern wie Großbritannien (BP), USA (Chevron) oder Japan (INPEX) anlegen müssen, deren demokratische Ölfirmen gemeinsam in der "Azerbaijan International Operating Company (AIOC)" die Ölförderung im Land betreiben. Außerdem hat die Armee Aserbaidschans schon ein Kontingent für den NATO-Einsatz in Afghanistan zur Verfügung gestellt, und Waffenbrüder haut man nicht in die Pfanne. Und sicher wäre es ihr auch unangenehm wenn sie dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer, der in Aserbaidschan lobbyistisch an der künftigen NABUCCO-Pipeline herumschraubt, kritisieren müsste. Denn von Fischer weiß man, dass er ein Vorkämpfer für Demokratie und Menschenrechte ist. Und wahrscheinlich hofft die Kanzlerin, dass über die neue Pipeline auf Dauer die von ihr gewünschte "Transformation" fließen wird. Spätestens dann wird Aserbaidschan Einweg-Ölkännchen in seinen demokratischen Gaststätten auf den Tischen stehen haben. Die Freiheit des Handels wird ihren Sieg antreten und jene Medien, die heute noch die bedeutende Rede der Kanzlerin ebenso unerwähnt lassen wie die Verhältnisse in Aserbaidschan, können dann dem Kernsatz der Merkelschen Rede beipflichten: "Die Schatten des Kalten Krieges sind nach wie vor existent, und es ist unsere Aufgabe . . . einen Beitrag dazu zu leisten, dass der Kalte Krieg für alle vorbei ist". Und es soll kein Schatten auf eine Kanzlerin fallen, die über Freiheit lamentiert, in Wahrheit aber einen diplomatischen Krieg um Einflusssphären und Öl führt, der nichts anderes ist, als die Fortsetzung des Kalten Kriegs mit nur wenig veränderten Mitteln.